So weit seine Phantasie auch spielt, über Amerika und Afrika hin, da
folgt sie nur den verworrenen Fahrten des Lebens, das immerfort aus der
Enge in die Weite drängt, das sich verlieren muß, um sich selbst wieder»
zufinden und sein Bestes zu gewinnen. Ihre Liebe aber ist in den wink«
ligen Straßen und auf den Plätzen unsrer alten Reichsstädte, über die der
Schlag der Uhr vom hohen gotischen Kirchturm dröhnt, in den deutschen
Handwerkerstübchen, den Trödlergäßchen, im Sternguckertürmchen, in ir-
gendeinem verlorenen Dachzimmer fünf Treppen hoch. Und in einsamen
Dörfern, am Waldbach oder am Meere, wo ein Menschenröttlein sich in
der Natur zwischen ihren freundlichen und unholden Mächten eingeheimt
hat. In knarrenden Mühlen und in weltfernen Schlössern. Auf dem
staubigen Feldweg und an den gelben Roggenfeldern, über denen die
Sonnenglut zittert. Im kühlen Waldwinkel und in der weiten sturm-
und regengepeitschten Lbene. Unser deutsches Wald- und Feldleben in
seinem Reichtum und seiner Kargheit, unsre Altstädte, in denen Iahr-
hunderte der Vergangenheit und neue Zeit wunderlich ineinander fließen,
bei Raabe werden sie dir so deutlich, daß du sie vor dir hast. Du spürst die
Sonne brennen und hörst den Regen klatschen, und just so und nicht anders,
wie die Sonne in unsern deutschen Landschaften scheint und wie der Regen
bei uns regnet. Du stehst leibhaftig zwischen dem alten Hausrat und riechst
die Luft des Zimmers und den Duft der Blumen am Fenster. Der Moder-
geruch und die tzolunderblüte des Kirchhofs umfängt dich wie gegenwärtig.
And bei allem ist das eigentümliche Gefühl: tzeimat. Mag das, was
uns gezeigt wird, arm, häßlich, unbehaglich sein, wir müssen es doch lieb
haben. Denn was wir mit Raabescher Liebe schauen, wird uns innerlich
vertraut und zu eigen. Wir kehren gern an solche Stellen zurück, wie wir
wohl einmal mit plötzlich erwachender Liebe zurückkehren zu einer alten
Iugendstätte, die ganz fern hinten in unserm Bewußtsein lag. Solche
Iugend-- und Erinnerungsreisen mache ich von Zeit zu Zeit in das tzäuschen
an der Kröppelgasse, wo in der dämmrigen Stube die gläserne Schuster-
kugel glänzt, oder in die Mühle an der Innerste, wo es einem vor dem
spukenden Schrei draußen im Wasser graut, oder sonstwohin mit Raabe.
And wenn ich durch alte Gassen gehe, wie lieb und vertraut sind sie mir
geworden, wie spüre ich in ihnen, die mir einst des Abbruchs wert schienen,
deutsche tzeimatluft — Raabe hat mir aus dem alten Gerümpel eine geimat
erbaut.
And ähnlich ist es mit seinen Menschen. Mögen es nun liebe, brave
Seelen sein oder widerborstige, hartgesottene alte Sünder — ein jeglicher
anders als der andere, so verschieden, wie der unendliche Lebenstrieb des
Menschengeschlechtes sie unter dem mannigfaltigen Wind und Wetter und
Sonnenschein emporwachsen läßt, bald frank und frei mit blitzenden Äugen,
bald in sich verhutzelt und vertrocknet, bald mit breitem Ratsherrnschritt
im städtischen Ornat, bald geduckt und mit scheuem Blick hinterm Busch,
bald jung und trotzig stürmend zu Pferde, bald mit Filzpantoffeln und
voll klug erworbener Lebensweisheit qualmend im warmen Lehnstuhl —
immer glimmt irgendein ewiges Lämpchen in ihren Herzen. Wenn des
Schicksals Stunde kommt, glüht es wohl hell auf und strömt Licht und
Wärme in die dnnkle Welt. Fn die dunkle Welt: sie ist bei Raabe
die Welt der Kriegesstürme, der Armut, des Hungers, der Brandstätten,
der Seuchen, der Vertierung. Gerade in den schweren deutschen Kriegs-
zeiten verweilt er, vor allem in der bis zu diesen Tagen grauenvollsten
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folgt sie nur den verworrenen Fahrten des Lebens, das immerfort aus der
Enge in die Weite drängt, das sich verlieren muß, um sich selbst wieder»
zufinden und sein Bestes zu gewinnen. Ihre Liebe aber ist in den wink«
ligen Straßen und auf den Plätzen unsrer alten Reichsstädte, über die der
Schlag der Uhr vom hohen gotischen Kirchturm dröhnt, in den deutschen
Handwerkerstübchen, den Trödlergäßchen, im Sternguckertürmchen, in ir-
gendeinem verlorenen Dachzimmer fünf Treppen hoch. Und in einsamen
Dörfern, am Waldbach oder am Meere, wo ein Menschenröttlein sich in
der Natur zwischen ihren freundlichen und unholden Mächten eingeheimt
hat. In knarrenden Mühlen und in weltfernen Schlössern. Auf dem
staubigen Feldweg und an den gelben Roggenfeldern, über denen die
Sonnenglut zittert. Im kühlen Waldwinkel und in der weiten sturm-
und regengepeitschten Lbene. Unser deutsches Wald- und Feldleben in
seinem Reichtum und seiner Kargheit, unsre Altstädte, in denen Iahr-
hunderte der Vergangenheit und neue Zeit wunderlich ineinander fließen,
bei Raabe werden sie dir so deutlich, daß du sie vor dir hast. Du spürst die
Sonne brennen und hörst den Regen klatschen, und just so und nicht anders,
wie die Sonne in unsern deutschen Landschaften scheint und wie der Regen
bei uns regnet. Du stehst leibhaftig zwischen dem alten Hausrat und riechst
die Luft des Zimmers und den Duft der Blumen am Fenster. Der Moder-
geruch und die tzolunderblüte des Kirchhofs umfängt dich wie gegenwärtig.
And bei allem ist das eigentümliche Gefühl: tzeimat. Mag das, was
uns gezeigt wird, arm, häßlich, unbehaglich sein, wir müssen es doch lieb
haben. Denn was wir mit Raabescher Liebe schauen, wird uns innerlich
vertraut und zu eigen. Wir kehren gern an solche Stellen zurück, wie wir
wohl einmal mit plötzlich erwachender Liebe zurückkehren zu einer alten
Iugendstätte, die ganz fern hinten in unserm Bewußtsein lag. Solche
Iugend-- und Erinnerungsreisen mache ich von Zeit zu Zeit in das tzäuschen
an der Kröppelgasse, wo in der dämmrigen Stube die gläserne Schuster-
kugel glänzt, oder in die Mühle an der Innerste, wo es einem vor dem
spukenden Schrei draußen im Wasser graut, oder sonstwohin mit Raabe.
And wenn ich durch alte Gassen gehe, wie lieb und vertraut sind sie mir
geworden, wie spüre ich in ihnen, die mir einst des Abbruchs wert schienen,
deutsche tzeimatluft — Raabe hat mir aus dem alten Gerümpel eine geimat
erbaut.
And ähnlich ist es mit seinen Menschen. Mögen es nun liebe, brave
Seelen sein oder widerborstige, hartgesottene alte Sünder — ein jeglicher
anders als der andere, so verschieden, wie der unendliche Lebenstrieb des
Menschengeschlechtes sie unter dem mannigfaltigen Wind und Wetter und
Sonnenschein emporwachsen läßt, bald frank und frei mit blitzenden Äugen,
bald in sich verhutzelt und vertrocknet, bald mit breitem Ratsherrnschritt
im städtischen Ornat, bald geduckt und mit scheuem Blick hinterm Busch,
bald jung und trotzig stürmend zu Pferde, bald mit Filzpantoffeln und
voll klug erworbener Lebensweisheit qualmend im warmen Lehnstuhl —
immer glimmt irgendein ewiges Lämpchen in ihren Herzen. Wenn des
Schicksals Stunde kommt, glüht es wohl hell auf und strömt Licht und
Wärme in die dnnkle Welt. Fn die dunkle Welt: sie ist bei Raabe
die Welt der Kriegesstürme, der Armut, des Hungers, der Brandstätten,
der Seuchen, der Vertierung. Gerade in den schweren deutschen Kriegs-
zeiten verweilt er, vor allem in der bis zu diesen Tagen grauenvollsten
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