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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,1.1915

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Heft 3 (1. Novemberheft 1915)
DOI Artikel:
Stapel, Wilhelm: Was wir in die Zukunft retten müssen: zu Raabes Todestag am 15. November
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https://doi.org/10.11588/diglit.14291#0118

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Zeit, der des Dreißigjährigen Krieges. Aber aus aller Wüstenei keirnt
das gütige Leben und entfaltet sich auf dem kargen Boden. And hinter»
läßt im Verhauchen und Vergehn, wenn die Nacht wieder über ihm zu«
sammenschlägt, die Gewißheit eines — nenne es nun göttlichen oder mensch-
lichen Lichtes, das da war und wieder zünden wird. Wir armen reichen
Menschen, die wir miteinander ringen in Wut und Blut bis auf den
Lod, es wirkt in uns allen im Tiefsten eine ewige Güte, die die Seelen
in der Not zueinander biegt. Es ist in uns allen ein fernes, ganz leises,
aber klares Singen, das durch das donnernde Poltern der irdischen Welt-
geschichte wie aus ungekannten Fernen ans aufhorchende Ohr klingt. And
immer einmal kommt eine aufblitzende Sekunde — und wenn es auch
nur eine Sekunde ist, so ist sie doch all des Fammers wert —, da das Be»
wußtsein des Zusammenhangs und Zusammengehörens klar wird als ein
inniges Gefühl des Verstehens, der Liebe, der Güte. Dieses unbeschreib-
liche Weltgefühl, das sich in Raabes Menschen aus Chaos und Nacht
emporringt, ist nicht nur ein Spiel für uns, es zündet in unserm wirklichen
Leben, es ruft in uns eine wirkliche und wachsende Lebensstimmung wach,
die wir als deutsch empfinden, die wir mit Raabes eigenem Wort „deutschen
Adel" nennen können. Wir werden empfänglich für diese Liebe, wo immer
sie uns in der Welt begegnet.

Durch alle Außerlichkeiten, durch die Schrullen, Launen und Besonder-
heiten des einzelnen hindurch lernen wir in die Tiefe sehn, wo das Edle
ist. Wir lernen, wie es in der unscheinbarsten Kreatur sich zum Lichte
arbeitet. And wo uns sein Blick, sein Ton trifft, grüßen wir den Schick-
salsgenossen. Ob er uns in irgendeiner dunkeln Werkstatt eines Hinter-
hauses, ob auf den sogenannten tzöhen der Menschheit begegnet, gilt uns
gleich. Wir haben den Respekt verloren und die Ehrfurcht gewonnen. Wir
haben Geduld gegen die Menschen gelernt. And wir sahen in das Ge-
heimnis der Beschränkung, die Seele in sich zusammenzufassen, sie nicht an
Glanz und Pracht, aber ohne Rest an unsre Aufgabe zu verschwenden.
So wie Raabe selbst in sich einen Reichtum edelster Leidenschaften verschloß
und sie alle auf das Werk seines tzerzens verwendete, der Welt aber gar
nicht selten die feindselige Stachelschale eines borstigen Spießertums zu-
kehrte.

Alle schweren Zeiten der Vergangenheit unsres Volkes haben Raabes
Augen abgesucht nach jenem innern Licht des Menschenadels, das in ihm
selbst brannte. And die edelsten deutschen Schätze hat er in seinen Schöpfer-
stunden aus unsrer Vergangenheit gehoben. Darum gehört er in die
Reihe der Männer, von denen wir in ganz besonderem Sinne sagen, daß
sie deutsch seien, zu denen wir jeden weisen, der eine Anschauung vom
Deutschtum gewinnen will. Wie etwa aus Dürer, Luther, Fichte, Iakob
Grimm uns etwas anspricht, das sich mit keinem andern Worte bezeichnen
läßt als mit „deutsch", so auch aus Raabe. Nicht etwa, als ob er ein
„patriotischer Dichter" wäre. Nichts war ihm wesensfremder als ein Pa-
triotismus, der sein Vaterland — und oft genug auch sich selbst — „ver-
herrlichen" will. Wer ihn kannte, weiß es, wie wenig er von solchem
Verherrlichen hielt. Er trug keine deutsche Farbe auf, aber er schuf in
reiner, schlichter Liebe zu dem, was seines Geistes war, aus der Nötigung
seines eigenen deutschen Wesens. Wie gewaltig die Kraft der Liebe zum
deutschen Volk in ihm war, das bewies eben der Zorn auf das deutsche
Volk, das den Erfolg anbetete, das hurrate und hochte, aber nicht sich ver»

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