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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,1.1915

DOI Heft:
Heft 5 (1. Dezemberheft 1915)
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Avenarius, Ferdinand: Menzel
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https://doi.org/10.11588/diglit.14291#0234

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tausend Tönen zu einer Symphonie seelischer Stimmung! Nun wohnt
nach der Friedrich- die Wilhelm-Zeit in seiner Seele. Aber das Zere-
monienbild ist nur Abergang, und das Historienbild malt er sortan, als
wär es Genrebild, indem er die Genrebilder zu Historien vertieft. „Abfahrt
König Wilhelms zur Armee." Rnd wo Menzel steht und geht und iM
Wagen fährt und an der Wirtstafel oder am Kaffeetisch sitzt, überall
greifen seine Augen jetzt ins volle Menschenleben um sich herum hinein
und packen's und zeigen: es ist interessant. „Aus allem sich eine Aufgabe
macheuü' — denn: zeichne es nur, so entdeckst du etwas. Eine unermüdliche
Entdeckungsfreude am Großen und am Kleinen wird seine Zeichner- und
Malerei. Und ohne viel Wesens davon zu machen, weil's eben am Wege
liegt, nimmt er auch das auf, dessen Fund ihm als das höchste Verdienjt
gepriesen wird — sein „Eisenwalzwerk" entsteht. In einer großen, fesseln«
den Darstellung hebt er zum ersten Male den künstlerischen Gewinn aus
der Arbeit der Zeit. Nicht, um ihr „hohes Lied" zu singen, nicht wie
ein Meunier. Auch diese glühende und dröhnende Arbeit ist ihm nur
ein Stück von tausend Stücken, mit denen das Wesen der Gegenwart sich
ihm ausbreitet, sich seinen Augen darspielt. Der einen wie der andern
Erscheinung entsaugen die Blicke ihr Inneres in sein mächtiges Hirn,
aber gar so viel mehr ist ihm Oas eine als das andre nicht. Die Erschei-
nung selber bleibt's doch, was ihn vor allem fesselt, was sie von Inner-
lichem aussagt, malt er nur mit, weil er's in seiner Gescheitheit eben mit-
sieht — er hat ja Kopf, er ist nicht nur „Augentier". Die heim-
liche Wärme eines Fontane ist nicht dabei, sein Schaffenselement ist der
Grundsatz des Nealisten in all seiner Kühle: was ist, ist vernünftig, weil
es ist. Nur als technische Konzession an die Sinne wird umgeformt. Oder
aber als Spiegel des Verstandes, um Verständiges damit zu sagen oder
vernünftig zu scherzen. Das Traumbilden, das Gesichte des Sehnens um
Verlorenes oder Erhofftes bannt, liegt bis zum Mchtbegriffenwerden fern.
Hie Menzel, dort Böcklin.

Daß Menzel nie nach Erscheinungsformen dafür gesucht, daß er nie
danach rang, dem Körper zu schaffen, was etwa von ungeborenem Lichte
in den Seelendunkeln noch körperlos schläft, das versteht sich bei der
Vollkraft von selbst, mit der seine Arbeit allein dem Erobern von außen
her zugewandt war. Daß er gegen andre nicht gerecht sein konnte, deren
Arbeit anders schuf, auch das war nur Folge der notwendigen Einseitig-
keit des schöpferischen Genies. Daß er keinen strengeren Kritiker gehabt
hat, als sich selbst, das beweisen hundert bekannt gewordene Worte und
Zeichen. Eine andre Frage ist, ob die außerordentliche Bewußtheit
seines Wesens Menzels Kunst nur zum Nutzen geworden ist. Ob die
Zukunft die Gipfelung seines Schaffens nicht in einem andern seiner
Lebens-Iahrzehnte liegen sehen wird, als die heutige Kritik tut.

Aber nur um ein Vergleichen von Höhen miteinander wird es sich dabei
handeln, die alle bis in freie Lüfte getürmt sind, um ein Vergleichen, das,
für die Psychologie des Schaffens Höchst interessant, für die Bewertung
der einzelnen tzöhen dieser felsensichern Kunst doch wohl nur Nebensäch-
liches besagen kann. Iahrzehntelang ist derselbe Mann Norddeutschlands
einziger wirklicher Historienmaler gewesen, der zugleich sein größter Illu-
strator war. Weder dort noch hier hat ihn bis heute irgendwer erreicht.
Er war der größte Maler, den ein ganzes Iahrhundert hindurch der
deutsche Norden hervorgebracht hat, und, an Stoffen schier unerschöpflich,

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