Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Zkitschrill für finiill, iiiiiilliiiiiitlirif und KnMrifches Aden,

'^(§V ,Hauptvrgar! der Deutschen Kunstvererne. yc^'o

Dr. Max Schasler,

'libtrS und ©e(rttoit 6(6 „MuIeumS tur )

»nst und füiiftlcrifd^e JnttrclJtn" S-15. ^iüllllCl'.

| isr.9. |

Studie» ;uc ffirfd)id)lc der Kunst de» nciuijcljiilcit Mhrhiindcrlo

I. örti» und Zweck der Kunstgeschichte. — Tic Iimstgcschichllichc
Entwickelung. — Der Zopf.

Die Kunstgeschichte ist gewissen»,nisten die Naturgeschichte der Kunst.
Wie letztere erst dun» wahrhaft gedeihen konnte, als das nicnfchtichc Auge
für die Schönheiten der Natur empfänglich geworden war, d. h. in der dein
Mittelalter uach,olgcnden Zeit — denn dem Alterthuni war in der Thal der
Sinn für Naturschönhcit noch wenig erschlossen I — so konnte auch die Knnstge.
schichte erst dann kräftigere und tiefere Wurzeln schlagen, als auch das »n-
künstlerische Auge durch die bereits vorhandenen Werke der .Kunst sür die
Kunstschönheit cnipstndlich geworden war. Ein Volk lernt in dieser Hinsicht
sehen wie jeder Einzelne. Da erst konnte der Wunsch und das Bedürjniß
erwachen, glcichsani mit dem S-cirnicsser in der Hand ans den Kunstwerken
die einzelnen Theile herauszuschälen, ans denen in dieser Hinsicht begablere
Natnrcn als wir diese Wunderwerke, von einen, instinktarligen Schöpf,»,gS-
lricbc geleitet, hervorgchcn ließen. Alan wollte z,isehen, wa« an diesen Wer-
k-n den, »nmittclbare» Schöpfer, was der Menschheit, waS der jeweiligen
Individualität d-S Künstlers, was seiner Nationalität, was seinem Baterlande

Das ungefähr ist der Kreis kuustg-schichltich-r Untersuchungen. Nur
der unmündigen Jugend dieser Wisi-nschasl können wir IS daher heute noch
zu Gute halten, wen» sie, von den, erhabenen Eindruck ciucS gothischcn Mün-
sters überwältigt, träumen konnte, dies Werk sei die durchaus freie Schöp-
fung eines einzigen Meisters: nur die baarc Unwisi-nh-i, kann, gleichviel, ob
sie M-ist-l. Kelle, Pinsel oder Feder führt, noch jetzt von der Ersiudnng
eines Stiles reden. Ein. Stil wird, aber wird nichts weniger als erfunden;
er ist die nnbewnstte Schöpfung von Jahrhunderten, der einzelne glückliche
und begabte Naturen schließlich grade zur rechten Zeit und am rechten Orte
die Blume der Vollendung aufsetzlen. Der Zweck der Kunstgeschichte ist
glso »orzngöwcil- di- Genesis der Kunstwerke.

Nur wer diese Genesis, selbstständig an einem Kunstwerke heranSzusinden
versteht, nur der ist in Wahrheit befähigt und berechtigt zu einem maastgebenden
Urtheil über die Erzengnisie der Kunst vergangener Zeiten, jede« andere Urtheil
ist. wenn nicht gradezu falsch, doch j-deufallS unsicher, weit °S des einzig gül-

tigen Maaßstabe« entbehrt, der in ihm selbst liegt, d-S MaaststabeS der Zeit
seiner Entstehung. Dann» eben hat cS bis jetzt nicht glücken wollen und
wird auch nie glücken, eine genügende D-sinition von dem Begrisje „des
Schönen" zu geben. Der Grund liegt nahe: e« gicbt überhaupt nichts absolut
sondern nur etwas relativ Schöne», d. h. etwas, was schön ist in, Vcrhäll-
nist zu seiner Umgebung. Bringt „UN di- verwandtschaftliche Umgebung eines
Dinge» schon einen nicht bl°s reizenden sondern auch wohlthnenden, innerlich
befriedigende» Eindruck auf unsere Anschauung und durch sie auf unser» Geist
und unser Gcinülh hervor, so wird dasjenige, den, wir alsdann noch das
Prädikat „Ichon" b-l°nd-rS b-,jn>eg-n uns gleichsam für verpflichtet halten,
dem Bcgris, der absoluten Schönheit an, nächste» gekommen zu ,e,n scheinen,
wird allen Zeilen und allen Völkern a» sich und ohne Weitere» verständlich
scheine,,. Wäre das V-rhältniß nicht so, sonl r» a der wir „„„ teil, wenn
wir unsere Urtheilc über die von unS bewunderten Werke der Kunst mit
denen des vorigen Jahrhunderts über dieselben Werke vergleichen, entweder
irre werden an unser», eigenen Verstände oder an dein unsrer Vorfahre».
Wir halten den Vatikanischen Apoll mit Winkeln,an» auch Heu, noch sür ei»
schönes Werk, ohne deshalb wie weiland Förster über das Genter Altarwirl mit'
leidig die Achsel» zu zucken. Beide Werke haben den Gedanke» ihrer Zeit zu»,
Ausdruck gebracht, da» Studium der Kunstgeschichte hat uns befähigt, diesen in
»ö zu reprodueiren; durch das klar-Medium des Verstandes ist auf diese Weise
auch da» Gefühl in „ns zur Berechtigung gekommen. Wir sehen hier wie
dort Vorzüge und Mängel, hier mehr dort weniger; wir verherrlichen weder
blind aus der -ine» Seite, »och verdannnen wir blind auf der andern. Wir
betrachten die Werke von den, Standpunkte aus und in dem Lichte, in dem
sic betrachtet zu werden von uns beanspruchen können; „ud auch diese Mäßi-
gung, diese Billigkeit ist wiederum -,„c Frucht de« Studiu,»» der Kunstge-
schichte, Der gebildete, von religiösem Hochmuth und Dünkel freie Beurtheiler
wird in den einfachen verständlichen Formen dcS griechische» Tempels den
klare» s-lbstb-wnstteu Geist der antike» Weltanschauung, der sich auf den Ge.
silden dieser Erde wohlfühlt und daher gemächlich auSbreitet, grade mit eben-
soviel Wohlgefallen sich abspicgcln sehen, wie den phantastisch-hi,ninclanstre-
bei,den Geist de» Mittelalters-, welcher diesen, angeblichen Sannnerlhal zu
entfliehe» sucht, in den kühn anssteigenden luftigen Hallen der gothische» Kirche
 
Annotationen