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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 8.1863

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https://doi.org/10.11588/diglit.13517#0046

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und zwei Pinsel, stieg auf die Leiter und malte täuschend
eine Schwalbe, die noch heut, wenn auch vielfach übermalt,
die Decke ziert und diese Anekdote ins Gedächtnis zurück-
ruft. — Seine ersten wissenschaftlichen Studien machte er
irr dem „College de quatre-nations,“ als er dasselbe verließ,
war er bereits ein berühmter Künstler.

Den Jüngling begeisterten natürlich vor Allem die
Großthaten seiner Zeit und seines Vaterlandes. Das
Griechenthum David's war erloschen, die Macht der Er-
eignisse der Gegenwart und der nationale, besonders militä-
rische Patriotismus und Enthusiasmus schrieb auch der Kunst
neue Bahnen vor. Zeigt sich hier wiederum, wie überall
im Allgemeinen, das, was man die Logi k der Geschichte
nennt, so tritt im Besonderen die Einwirkung des politisch-
nationalen Lebens auf die Richtungen der Kunst auf das
Entscheidendste in den Vordergrund. Zeus und Phöbus
machten dem Cäsar Platz, die Horatier und Sabiner muß-
ten den napoleouischen Garden, die Waffen des Achilles
den Bajonetten und Kanonen weichen.

Der Künstlerjüngling ward so von dem hehren Geiste
' seiner Zeit und von der gewaltigen Macht der Ereignisse
erfaßt und begeistert. Wie Beranger als Dichter, so
diente Vernet als Maler dem Banner der Freiheit und
des Ruhmes der französischen Nation. Das Volk erkannte
sich in den Gedichten des Einen, wie in den Gemälden
des Andern, und bezeugte Beiden seinen lebhaften Beifall.
Zweimal, i» den Jahren 1807 und 1815, verfiel Horace
der Konskription, allein beide Mal stellte sein Vater einen
Ersatzmann. Sein Künstlerruf war bereits in die höchsten
Kreise gedrungen. Die Kaiserin Marie Louise wie der
König Hieronymus beehrten ihn mit bedeutenden und höchst
einträglichen Bestellungen. Die Knnstverleger stritten sich
um seine Zeichnungen und bedeckten sie mit Gold. Nich*
minder wurden seine Blätter zum „journal des modes“
und seine Karrikaturen gesucht. Im Jahre 1814 empfing
er das Ehrenkreuz. Die „Restauration", d. h. die Rück-
kehr der Bourbonen, welche Frankreich in jeder Beziehung
so nachtheilig und verhängnisvoll wurde, setzte seiner so
ruhmvoll begonnenen Laufbahn plötzlich Schranken. Die
„Restauration" ging sogar in ihrer blinden und strafbaren
Unterdrückung alles Dessen, was Freiheit und Ruhm der
Ration heißt, so weit, daß man ihm die Thürcn des Louvre
verschloß. — Gegen dreißig, zum Theil höchst bedeutsame
Gemälde, wie „die Schlacht von Sommasierra", „der Tod
des Poniatowsky", „die Schlacht von Tolosa", „der Tob
der Mamelucken zu Cairo" u. s. s. mußten in seinem Ate-
lier verbleiben, ohne ausgestellt werden zu dürfen. Ja,
die „Restauration" verlangte sogar von dem Künstler, daß er
auf seinen Schlachtgemälven, welche dem Ruhme Napoleons,
der Nation und der Armee geweiht waren, au die Stelle
der nationalen Trikolore die bourbonischeu Lilien setze. —
Auf das Tiefste verletzt durch diese Ungerechtigkeit ver-
ließ Horace Frankreich und zog mit seinem Vater nach
Italien, woselbst sie mit großer Auszeichnung empfangen
wurden. Nach mehr als halbjähriger Frist kehrten sie über
die Alpen zurück. Das Louvre blieb Horace verschlossen.
Da unternahm die Oppositionspresse eine Schilderhebnng
unsers Künstlers. Etienne und Jpuh gaben in dem
„Constitutione!!“ ein Verzeichniß und eine Kritik der mit

Beschlag belegten Werke, welcher Schilderhebnng eine lange
Reihe anderer Journalisten und Kritiker sich anschlosscn.
Die Macht der Presse siegte, dem Publikum wurde das
Atelier Vernet's geöffnet, welches in dem sogenann-
ten „petite Atlienes“ lag, einem Stadtbezirke, welcher
darum diesen ehrenvollen Bcinahmen führte, weil daselbst
die Hotels der MarS, der Duchesnois, des Talma
und des Vernet lagen.

Von Fremden und Freunden umringt, ohne sich durch
ihr Kommen und Gehen, ihr Sprechen und Verkehren stö-
ren zu lassen, führte Horace in den Jahren 1820—25
die vielen Werke aus, welche seinen Ruhni nicht allein
über Frankreich, sondern über ganz Europa ausbreitcten.
„Die Barriere von Clichy", „die Schlacht von Jemappes",
„das Grab Napoleons", „die Vertheidigung von Sara-
gossa", „die Schlacht von Montmirail", der Abschied von
Fontainebleau", „die Brücke von Arcvle" u. s. w. entstan-
den gleichsani spielend unter seiner schöpferischen Hand.

Der Herzog von Orleans, welcher die Opposition gc-
giw die Bourbonen und ihre antinationale „Restauration"
und Reaction nicht nur nicht entmuthigte, sondern sogar
beschützte auf seinem Wege zum Throne, erklärte sich öffent-
lich für den Mäcen Vernet's. Der allgemeine und an-
erkannte Nationalruhm desselben sollte dem schlauen Her-
zoge eine Staffel bilden zum nationalen Thron. Daß
sein Egoismus, und nicht der Ruhm des Volkes, noch
viel weniger die heilige Sache der Kunst, hierbei das
leitende Motiv bildete, geht am ersichtlichsten daraus her-
vor, daß er selbst immer den Gegenstand der gegebenen
Darstellungen bildete. In allen Kostümen, in allen Epi-
soden seines erfahrungsreichen Lebens, bald bei Valmy,
bald bei Jemappes, wo er so höchst zweifelhafte Lorbeeren
cincrndtete, bald in den Alpen der Schweiz, bald zu Vcn-
dome, wo er einem Priester das Leben rettete, ging er
farbenprunkend und gefeiert aus der Werkstätte unseres
Künstlers hervor. Diese Gemälde wurden öffentlich aus-
gestellt, öffentlich besprochen, öffentlich belobt als treffliche
Werke eines allgemein gefeierten nationalen Künstlers, auf
wclcheni das Anathem des „Legitimismus" ruhte.

Wenn erst Künstler oder Schriftsteller sich in Paris so
emporgearbeitct haben, daß nicht allein die Nation für sie
ist, sondern auch ein einflußreicher Theil am Hofe, so
wendet die regierende Partei in der Regel das Blatt plötz-
lich um und macht aus den Unterdrückten oder Verfolgten
mit einem Male gesuchte Günstlinge, um so sie selbst,
wie die öffentliche Meinung, für sich zu gewinnen. Die
gefürchtete Macht wird zu einer befreundeten erhoben, um
sich zu sichern, ihr aber den oppositionellen Lebcnsfadcn
abzuschneiden. So auch mit Vernet.

Diese orleanistischen Gemälde und die damit verknüpften
Machinationen erregten bereits die Aufmerksamkeit der Re-
gierung. „Der alte Arm" der Bourbons mit ihrer „Re-
stauration" zitterte bereits vor dem „neuen" der Orleans
mit ihrer Revolution. Man erkannte bei Hofe, daß eS
unklug sei, einmal populäre und gefeierte Genies, wie
Vernet, noch weiter zu verfolgen, ja selbst nur zu iguo-
riren. Dergleichen unkluge Maaßnahmen begleitet der
nationalstolze geistreiche Franzose, der stets Allem, was
Genie heißt, enthusiastisch seinen Beifall bezeugt, immer
 
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