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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 8.1863

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https://doi.org/10.11588/diglit.13517#0078

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„Steinbockjagd bei den Marokkanern", die „Eberjagd" in
den schilfreichen Prairien Algeriens, „die Rückkehr des
Kabylen von der Löwenjagd" und die beiden „Mazeppas".
Mazeppa, auf feurig brausendem Rosse, wie eine Geister-
erscheinung, durch den finsteren Wald getragen, gemalt im
Jahre 1825, und Mazeppa, von hungrigen Wölfen ange-
fallen, gemalt im Jahre 1826, muß die Kritik als episch-
dramatische Dichtungen betrachten, in denen das edle, freie,
feurige Roß die Rolle des Helden spielt.

Auö allem Diesem nun geht sattsam hervor, daß Ber-
net eine der bedeutendsten Erscheinungen in der moder-
nen Kunst war. Sein frischer, kräftiger, gesunder Sinn
führte ihn vornehmlich der Natur und Wirklichkeit, sein
durch die Zeitverhältnisse geweckter und angefeuerter Pa-
triotismus der Verherrlichung des Nationalruhmes, so-
wie überhaupt der Behandlung der großen Ereignisse der
Gegenwart zu. Diese realistische und naturalistische Rich-
tung entfremdete ihn zwar deni Poetischen, Idealen; allein
die Art, wie er dieses Gegebene, Wirkliche, Erlebte be-
handelte, wird ihn stets zu einem der Ersten seines Faches
machen. Zu bedauern für ihn und die Kunst ist es, daß
ein so reicher Genius, eine so schöpferische Hand sich nicht
öfter und in höherem Grade der großen Historie wid-
men konnte, sondern durch die Aufträge Louis Philipp's
zu einseitig in Anspruch genommen wurde. Daß übrigens
dieser Geist der großen Historie, des Poetischen, Heroischen
in ihm lag, beweisen seine „Judith", wie seine „Editha
an der Leiche Harald's". — Vermöchte man seine Werke auf
einem Punkte zu versanimeln, sie allein würden ein
glänzendes Museum abgeben.*)

Im Jahre 1846, bald nach Vollendung eines der„Smala"
an Größe fast gleichkominenden Schlachtbildes, des „Sie-
ges am Jsly", den Bugeaud über die Marokkaner erfocht,
wurde Vernets Kraft durch ein ihn tiefergreifendes Fa-
milienunglück, den Tod seiner einzigen Tochter, Louise,
welche er dem großen französischen Historienmaler Paul
Delaroche vermählt hatte, aus längere Zeit gelähmt.
Sei es, daß ihn dieses Unglück so gewaltig erschütterte,
denn er hing mit einer schwärmerischen Liebe an seiner-
schönen Tochter, sei es, daß seine Productionskraft über-
haupt ihren Kulminationspunkt bereits erreicht hatte: seine
späteren Werke zeigen eine merkliche Abnahme an künst-

*) Man schreibt uns aus Paris, daß das Comitö der Ge-
nossenschaft der Maler (Io ooinite cke8 artlstes-xeiutres) an das
Direktorium der kaiserlichen Museen das Gesuch gerichtet hat,
eine Ausstellung der sämintlichen Werke aller drei Vernets, Jo-
sephs, Karls und Horaces, zu veranstalten und zwar zu derselben
Zeit, in welcher die große Ausstellung der Werke lebender Künst-
ler im Palais de l’Industrie stattfinden wird. Der Plan dürfte
jedoch daran scheitern, daß die Wittwe des Verstorbenen verlangt
hat, das populärste und größte Gemälde von Horace, „die Er-
oberung der Smala", müsse ebenfalls ausgenommen werden. So
billig dies Verlangen scheint, so hat doch der Direktor der Mu-
seen die Verantwortlichkeit für die durch den Transport eines
so kolossalen Bildes möglicherweise entstehenden Gefahren nicht
übernehmen wollen, da es bekanntlich auf sehr dünne Leinwand
gemalt ist, die ein großes Gewicht von Farben zu tragen hat;
so daß bei der Nothwendigkeit, das Bild mehrmals auf- und
abzurollen, allerdings die Gefahr einer Verletzung nahe genug
liegt. D. R.

lerischer Energie und Größe. Seine letzten Arbeiten unter
der Julidynastie waren die symbolisch-historischen Decken-
gemälde im Saale der Deputirtenkammer im Louvre und
die Reiterportraits Louis Philipp's und seiner Söhne.
Die Februar-Revolution, bei welcher mehrere seiner besten
Bilder im Palais Royal von dem Pöbel zerstört wurden,
fand an ihm keinen begeisterten Verehrer; und daraus mag
es sich vielleicht erklären, daß er seine Neigung der neuen
Napoleonischen Aera mit um so größerer Entschiedenheit zu-
wandte. Die erste Siegesthat der französischen Waffen
unter der Präsidentschaft, die „Erstürmung des von Gari-
baldi vertheidigten Rom" verherrlichte er in einem kolossa-
len, übrigens zu seinen schwächsten Leistungen gehörigen
Bilde, und auch noch den Ruhm der neuen kaiserlichen
Adler ward er berufen, in dem Gemälde der „Schlacht an
der Alma" (1854) zn feiern. Unter den während des
letzten Jahrzehnts entstandenen kleinen Werken des Meisters
sind als die verbreitetsten die bereits erwähnte „Jagd auf
Mufflons," „Die Brüder Josephs" und „Die Feldmesse in
Kabylien" hervorzuheben. Im Vergleich zu den riesigen
Productionen während seiner ManneSjahre hatte seine
Thätigkeit in der letzten Zeit bedeutend abgenommen; seine
geistige und körperliche Rüstigkeit aber blieb ihm bis we-
nige Wochen vor seinem* Tode ungeschwächt, den eine im
December v. I. begonnene Krankheit am 17. Januar her-
beiführte.

Als Künstler im reinen und ausschließlichen Sinne
überragen andere Meister seines Volkes den nun Geschie-
denen. Den vollen und entsprechenden künstlerischen Aus-
druck der nationalen Empfindungen des Frankreichs der
ersten Hälfte dieses Jahrhunderts hat Keiner so getroffen,
wie er; und welcken Rang ihm auch die ästhetische Kritik
der Zukunft in der Kunstgeschichte anweisen, ob sie das
begeisterte Urtheil der Zeitgenossen bestätigen oder beschrän-
ken möge, so wird ihm im Herzen des französischen Volks
immer der Ehrenplatz neben den nationalen Geistern Frank-
reichs gesichert bleiben. Mag er durch die neue Künstler-
generation in der Technik überflügelt worden sein, den
Ruhm, der nationalste Maler Frankreichs zu sein, wird
ihm Niemand rauben können. Von der Arena der eigent-
lichen Kunstthätigkeit war er allerdings bereits seit einigen
Jahren zurückgetreten, aber die unabsehbare Fülle des
von ihm in einem langen Leben Geschaffeneu une Geleiste-
ten gab ihm volles Recht, den Pinsel wohl früher schon
ruhen zu lassen. Selten hat sich mit großem Talent ein
so großes und getreues Glück verbunden wie das, welches
ihm beschieden war: die stete Leichtigkeit des Schaffens, das
sicherste Gelingen, der unbedingteste Erfolg, die Neigung
der Großen und die Liebe und Begeisterung seines ganzen
Volks, der Weltruhm, der fürstliche Reichthum —; und wenn
seine letzten Lebensjahre vielleicht durch die geringere
Schätzung seiner Künstlerschaft seitens der neuesten Maler-
generation verbittert worden sein mögen, so konnte ihn
über diese Laune des Tages und der Mode die schöne
Gewißheit erheben, daß sein Name epochemachend in der
Geschichte der französischen Kunst für alle Zeit bleiben,
und daß er leben wird im Gedächtniß seiner Nation, so
lange wie die Erinnerung jener Ruhmesthaten derselben,
deren Verherrlichung die Hauptarbeit seines Lebens war.
 
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