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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 8.1863

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https://doi.org/10.11588/diglit.13517#0086

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erreichen, ist nun die Nothwendigkeit, die Versöhnung mit
der Materie aufzuheben, um durch die hieraus sich ent-
wickelnde Differenz zum Kampf gegen das sinnliche Ele-
ment und durch ihn hierdurch endlich zum Siege über
dasselbe zu gelangen. Dieser Kampf fällt nun dem Mittel-
alter zu, welches die Skulptur als die gemäßeste Verwirk-
lichungsform jener Versöhnung, nach Aufhebung der letz-
teren, zu einem untergeordneten Moment herabsetzt, gerade
wie es mit der Architektur im Hellenismus geschah. Die
Griechen wußten noch nicht, daß der Geist das Höhere
ist: dieser Gedanke tritt erst im Christenthum in's Bewußt-
sein. Die griechische Skulptur ist daher zwar wirkliche
und adäquate Form der Idee, aber zugleich abstrakt und
fest. Die Idee, welche das plastische Kunstwerk belebt,
verbreitet sich nur über die Oberfläche und haftet an ihr
als Schönheit: so scheint sie nicht durch die Form in's
Innere und also anch nicht aus ihm als innerlich empfun-
dene, seelische Schönheit heraus. Dem hellenischen Kunst-
werk fehlt demgemäß das Moment der Innerlichkeit und
darum auch der Ausdruck der Innigkeit. Aus diesem
Mangel — wenn man dies von dem höheren Standpunkte
aus so nennen will — oder aus dieser Abstraktion von
der subjektiven Innerlichkeit, ist es zu erklären, warum die
Griechen ihre Götter- und Heroengestalten blicklos, ohne
Augenstern, darstellten. Es sind Individuen, unter sich
sehr bestimmt unterschieden, aber es sind doch wieder all-
gemeine oder vielmehr abstrakte Gestaltungen, denen die
Subjektivität und das innerliche Dasein abgeht.

Ein zweiter, damit zusammenhängender, wesentlicher
Unterschied ist die Stellung der Kunst zur Religion im
Hellenismus und im Mittelalter. Man kann dies einfach
so ausdrücken, daß bei den Griechen die Religion, ebenso
wie alle übrige» Thätigkeitssphären des Geistes, nur in
künstlerischer Form vorhanden waren, während um-
gekehrt im Mittelalter die Kunst und alles Uebrige we-
sentlich religiös war. Hier ordnet sich also die Kunst
der Religion, bei den Griechen ordnet sich die Religion
wie alles Uebrige der Kunst unter. Die griechischen Götter
selbst waren überhaupt nur als Kunstgestaltungen vorhan-
den, nämlich nicht nur äußerlich als diese Statuen des
Apoll, der Venus u. s. w, sondern anch innerlich für die
Vorstellung. Im Christenthum dagegen ist die religiöse
Idee, als rein außer- und gegensiunliche, das Wesentliche
für die Empfindung, an welche dieKunst erst von Außen
herantritt, um die Idee für die religiöse Anschauung in
dienender Weise, als Hülfsmittel für die Andacht, zu ge-
stalten. Andacht ist nun aber der griechischen Empfindung
ganz fremd, statt dessen waltet im hellenischen Kultus eine
ernste, aber heitere, freudige Stimmung, hervorgerufen
und erhalten durch unbefangenen Genuß des Schönen als
des Göttlichen.

3. Für die religiöse Anschauung des Mittelalters reicht
die Skulptur nicht mehr aus, weil sie in ihrer Veräußer-
lichung der Idee zu abstrakt ist, um das Göttliche, als
das Uebersinnlichc, mit hinlänglicher Innigkeit durchschauen
zu lassen und zum Ausdruck zu bringen. Dies vermag
nur die Malerei. Wie häufig daher auch die Skulptur
im Mittelalter zur Darstellung des Göttlichen, namentlich
aus der Leidensgeschichte Christi und der Madonna, an-

gewandt wurde, so war sie theils doch nicht diejenige
Kunstform, in welcher sich die Schönheitsidee am höchsten
und reinsten darstellt, theils wurde in den zahlreichsten
Fällen der Farbenschmuck, von der Malerei entnommen,
damit verbunden und dadurch die Skulptur ihrem eigenen
Wesen entfremdet. Aber selbst in dieser unkünstlerischen
Vermischung zweier verschiedener Darstellungssormen liegt
der Beweis von der Nothwendigkeit eines Hinansgehens
über die abstrakte, innerlich kalte und empfindungsleere
Darstcllungsweise der Plastik zu der höheren empfindungs-
ticfen, das innere Subjekt als seelenhaftes zur Erscheinung
bringenden Sphäre der Malerei. In der Malerei da-
her konnte die romantische Schönheil allein ihren höchsten
und tiefsten Ausdruck erreichen. Wir können dies an un-
serer eigenen Vorstellung prüfen, wenn wir z. B. die künst-
lerischen Darstellungen eines „Apollo" oder einer „Venus"
mit denen eines „Christus" oder einer „Madonna" Zu-
sammenhalten. Unwillkürlich werden uns bei dem Apollo
und der Venus Statuen, bei dem Christus und der
Madonna G emälde vorschweben, weil diese Darstellungs-
weisen die den Ideen dieser Gestalten am angemessensten
sind.

Erst in der romantischen Kunstepoche konnte und mußte
die Malerei zu ihrer eigentlichen Entwicklung gelangen,
denn nur in ihr handelt es sich um die Innigkeit des Em-
pfindens, um die Leiden, Kämpfe, Entzückungen des Ge-
müths, kurz um die tiefere geistige Beseelung und Erhe-
bung des Subjekts zur reinen Region des göttlichen Da-
seins. Die Farbe selbst, indem sie statt der wirklichen
Oberfläche nur den Schein derselben darstellt und über-
haupt von der schweren Körperlichkeit abstrahirt, führt
einerseits die ideelle Innerlichkeit aus der abstrakten, in
sich ruhenden Allgemeinheit deö griechischen Ideals in das
reale menschliche Dasein zurück, andererseits erhebt sie dies
aus der Sphäre der materiellen Sinnlichkeit, durch die
Körperlosigkeit und weiterhin durch den Ausdruck des inneren
Empfindungslebens in den belebten Zügen deö Gesichts
und dem lebendigen Strahl des Auges, in die höhere Sphäre
eines als geistig sich offenbarenden Daseins.

Die Schönheit in der Malerei ist deshalb auch eine
ganz andere, nämlich geistigere, als die der Skulptur.
Im Mittelalter namentlich geht die auf das Geistige, oder
wenn man will, Geistliche, gerichtete Kunstdarstellung
fast bis zu einer Verachtung der blos äußerlich schönen
Gestaltung: es spricht sich darin der Haß gegen die Sinn-
lichkeit, als das Schlechte, ans. Aber diese Antipathie
oder mindestens doch Indifferenz gegen die harmonische
Schönheit der Form hat noch einen andern tiefer liegenden
Grund. Die Sehnsucht nach der Rückkehr des Geistes
in sich aus dem Bruch mit der Natur treibt, wie ich schon
bemerkt, das Mittelalter in tausendfache Kämpfe, welche
zu der natürlichen Heiterkeit und Genußfrohheil der Hellenen
einen vollkommenen Gegensatz bilden. Das Herz, welches
sich in seiner natürlichen Existenz gebrochen fühlt,
versenkt sich in sich selbst und schöpft ans dem tiefen Born
seines Innern alle Innigkeit der Empfindung, aber damit
auch alle Schmerzen und Qualen, denen die sich ihrer
Göttlichkeit bewußte aber an das sinnliche Dasein gebun-
dene Seele fähig ist. In dieser innigen Schmerzhaftigkeit
 
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