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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 8.1863

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https://doi.org/10.11588/diglit.13517#0099

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ritualen Architektur auf evangelischem Gebiete, nicht Len
Namen eines evangelischen Kirchenstils verdienen würde.
Freilich, wenn man ein Recht hätte, den Zusammenhang
zwischen praktischen Zweck und künstlerischer Form — einen
Zusammenhang, der für die Architektur das eigentlich or-
ganisatorische Lebenselcment ausmacht — zu ignoriren und
m der heutigen Tages so beliebten eklektischen Manier aus
einer ganz äußerlichen Zusammenstellung beliebiger Stilfor-
men, mit mehr oder minder bedeutsamen Veränderungen in
den Details, eine neue Kombination zu konstruiren, welche
dann als ein neuer, „originaler Stil" gelten soll, dann bedürfte
es weiter keines Kopfzerbrechens über den evangelischen Kir-
chenbaustil. — Wenn man dagegen aus den bis in die klein-
sten Details hinein überall sichtbaren inneren Zusamnicnhang
zwischen der mittelalterlichen Baukunst und dem katholischen
Ritus blickt und zugeben muß, daß gerade in dieser inni-
gen Wechselbeziehung der organische Lebensnerv der archi-
tektonischen Konstruktion beruht, sofern alle architektonischen
Formen aus jenem Ritual als nothwendige Konsequenzen
des praktischen Bedürfnisses hervorgewachsen sind: so drängt
sich unabwcislich die Ueberzeugung auf, daß ein organischer
Zusammenhang der architektonischen Formen — das heißt
Stil — eben nur in der Kongruenz des geistigen (konfessio-
nellen) und formellen (künstlerischen) Elements erreicht
werden kann und daß alles Umhertappen nach neuen Stil-
formen für die evangelische Kirche eine vergebliche Mühe
ist, wenn man sich nicht auf den Boden der konfessionellen
Praxis stellt und von diesem festen Fundamente aus den
architektonischen Organismus konstruirt.

Wir haben bereits bemerkt, daß der evangelische Got-
tesdienst seinem Wesen nach einerseits aus der Predigt,
als dem Hauptakt der kirchlichen Andacht, andrerseits aus
den vor dem Altar stattfindenden heiligen Handlungen,
Abendmahl, Trauung, Einsegnung, Taufe, u.s.f.
besteht. Der erste Akt setzt die ganze Gemeinde als
Auditorium voraus, erfordert also einen großen Raum, der
andere umfaßt nur einzelne Glieder der Gemeinde, ist über-
haupt mehr privater Natur und verlangt deshalb einen
zweiten beschränkteren Raum. Diesebeiden Räume, welche
natürlich in unmittelbarem Konnex mit einander stehen
müssen, sind also zunächst nothwendige architektoni-
sche Konsequenzen des konfessionellen Bedürf-
nisses. — Mau könnte zwar den zweiten kleineren Raum
für überflüssig halten, da die betreffenden Handlungen
auch in dem ersteren vollzogen werden können. Wir glauben
jedoch, daß cs ebensowohl in religiöser wie künstlerischer Be-
ziehung störend ist, wenn feierliche Handlungen, die nur
auf eine beschränkte Pcrsonenzahl berechnet sind, in einem
großen, mit leeren Bänken besetzten Raum vorgenommcn
werden müssen. Es breitet sich dadurch eine Kälte über
die Handlung selbst aus; man fühlt sich fremd und geradezu

unheimlich in solchem großen Raum, und dies Gefühl
der Kälte und Unheimlichkeit entzieht der Handlung ebenso
viel von ihrer Feierlichkeit wie der Stimmung der Theil-
uehmenden von ihrer Andacht. — Ein noch störenderes
Moment als der Mangel einer solchen Kapelle, wie wir
der Kürze halber den kleineren Raum nennen wollen, ist
die falsche Stellung der Kanzel in dem Hauptraum
unsrer Kirchen. In den meisten Fällen ist die Kanzel an irgend
einen Pfeiler seitwärts vom Hauptschiff angeklebt, gleich
einem Schwalbennest, steht also nicht nur mit der übrigen
Architektur in gar keinem organischen Zusammenhänge,
sondern stört dieselbe auch beträchtlich. Aber diese Seiten-
stellung ist nicht nur unarchitektonisch und unkünstlerisch
überhaupt, sondern auch im höchsten Grade unpraktisch,
weil die Gemeinde, die bei dem liturgischen Akt, welchen
der Prediger vor dem Altar vollzieht, diesem letzteren zu-
gewendet sitzt, nun, sobald die Predigt beginnt, seitwärts
zur Kanzel empvrblicken muß; ja die Zuhörer, die entweder
unmittelbar unter oder hinter der Kanzel oder in den vorderen
Reihen der Mittelbänke sitzen, den Prediger gar nicht zu
sehen im Staude sind. Diesem Uebelstandc ist nur dadurch
abzuhelfen, daß die Kanzel am Ende des Hauptraumes über
dem Altar sich erhebt, und hinter derselben auf der Em-
pore die Orgel. Eine solche Anordnung wäre ebenso künst-
lerisch wie praktisch, namentlich auch in akustischer Beziehung.
Die Sitzplätze wären, wie bereits bemerkt, am besten Halb-
kreis- oder vielmehr hufeisenförmig anzuordnen, so daß
die Kanzel den Mittelpunkt eines Kreisabschnitts oder einer
Ellipse bildete. Denn nur so würde jeder Zuhörer nicht
nur den Prediger als das Centrum der Andacht sehen und
hören sondern auch die übrige Gemeinde überschauen kön-
nen, wodurch das Gefühl der religiösen Gemeinsamkeit
— denn hierin besteht das wahre Wesen der evangelischen
„Gemeinde" — gehoben und gekräftigt wird, nämlich durch
das Bewußtsein, daß Aller Gedanken in gleicher Weise
auf den einen Punkt, das aus dem Munde des Predigers
strömende Wort Gottes, koncentrirt sind, das in jedes Ein-
zelnen Herzen wiederhallt.

Nach diesen Andeutungen kann cS nicht auffallen, wenn
wir geradezu den Satz aufstellcn: Bis jetzt existirt noch
kein evangelischer Kirchenbau; d. h. die Aufgabe, eine Kirche
herzustellen, welche ebenso dem praktischen, konfessionellen
Bedürfnis) wie den künstlerischen Forderungen genügte, in-
dem darin beide Momente als innig mit einander ver-
schmolzen und sich gegenseitig deckend zur Darstellung ge-
bracht wären, ist bis ckato ungelöst.

Werfen wir nach dieser nothwendigen, das Princip
des evangelischen Kirchenstils berührenden Vorbemerkungen
nunmehr einen Blick auf die Konkurrenzcntwürfe,
um zu prüfen, ob und wie weit sie diesem Princip genügen.

(Schluß folgt.)

Kunst-Institute und Kunst-Vereine.

Wissenschaftlicher Kunstvercin in 'gäcrfiu-
Sitzung vom 14. Februar.

Es wurden an Knnstgegcnständcn vorgelegt durch Herrn
Kommerzienrath S achse ein „Album mit Aquarellen", unter de-
nen sich Landschaften von Scheuren befanden, sowie vonBlät-
terbaur in Liegnitz, einem in hiesigen Kreisen weniger bekann-
ten Landschaftsmaler, dessen Arbeiten die allgemeinste Anerkennung
zu Theil wurde; ein modernes „Bachusfest" von Blätterbanr,
und eine Anzahl mit Geist und kecker Hand von G ö st l in Wien
gemachter Kopien nach den vorzüglichsten Portrait« Rcmbrandt's
und van Dyck's in den Galerien Esterbazh und Lichtenstein.—
Prof. Kist legte die so eben in der Anstalt von Radtke voll-
endeten Photographien nach Michel Angclo's „Deckengemälden
im Vatikan" und Bcyer's „Album ob Virginia“, welches uns
mit den wunderbaren Schönheiten einer neuen Welt bekannt macht,
vor; Herr A. Dunk er eine Zeichnung von Pietsch: „Goethe
als Mährchen-Erzähler in Wetzlar", eine geistvolle Komposition
voll Naturwahrheit und Humor. — Den wissenschaftlichen Vor-

trag hatte der Geheime Rath Professor Tölken zu übernehmen
die Güte gehabt. In eingehender und ausführlicher Weise be-
handelte er die seit Winckelmann öfter schon angeregte Streit-
frage: ob bei der Erläuterung und näheren Bestimmung der
Dcnkinäler der antiken Welt diesen Denkmälern selbst, oder den
darüber vorhandenen schriftlichen Zeugnissen und Ucberliefernngen
die größere Autorität zustehc? Der Vortragende entschied sich
im Sinne Winckelmanns dafür, daß das Denkmal die höhere
Instanz zur Entscheidung sein müsse und begründete seine Ansicht
durch die Erläuterung der unter dem Namen „.Apollo saurok-
touos“ (der Eidcchscntödter) berühmten Statue eines Apollo des
Praxiteles, davon sich die antike Broncestatue in dem Museo Al-
bani, Nachbildungen in Marmor in den Museen von Rom und
Paris, Gypsabgüsse in dem hiesigen Museum befinden. Der
Bericht, welchen Plinius von jener Statue giebt und das der-
selben von Martial gewidmete Epigramm wurden ausführlich
besprochen und erläutert. Eine Abhandlung darüber wird Prof.
Tölken demnächst veröffentlichen. F. F.
 
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