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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 8.1863

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https://doi.org/10.11588/diglit.13517#0107

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91

licht. Dies kann nur durch ringsumschlossene Wände und
Oberlicht erreicht werden. Daß dies technisch sehr wohl
möglich ist, beweisen mannigfache monumentale Bauten,
z. B. die Rotunde des Museums.

Alle diese Requisite sind in dem Entwürfe Ratio in
vollständigster Weise berücksichtigt. Was endlich die Em-
poren betrifft, die praktisch nothwcndig erscheinen, um den
Zuhörerraum zu vergrößern, so sind sie auf dem Entwurf
in keiner Weise störend und schließen sich dem unteren
Kirchenraum in durchaus organischer Weise an, indem sie
als die Fortsetzung der amphitheatralisch sich erhebenden
Sitzplätze erscheinen. Bei einem kreuzförmigen Grundriß
wird die Ausfüllung der Kreuzarme mit Eniporen niemals
schön sein können, weil die konstruktive Einheit der archi-
tektonischen Grundform dadurch in störender Weise unter-
brochen wird.

Was endlich das A e u ß e r e des genannten Entwurfs betrifft,
so hat cs im Allgemeinen einen basilitaartigen Charakter.
Statt der hohen und schmalen Fenster des konventionellen
Kirchenstils sind die hochstrebenden Wände von Nischen
unterbrochen, in denen kolossale Apostclfiguren projektirt
sind. Der Eindruck ist entschieden mehr monumental als
malerisch. Dies scheint auch die Intention des Verfassers
gewesen zu sein, dessen Vorstellung von dem evangelischen
Kirchenbaustil ersichtlich überall auf einem principiellen
Gegensatz zum gothischen Stil basirt; eine Entgegensetzung,
die sich durch die entsprechende Differenz des jeseitigen
Ritus rechtfertigt. Wenn wir ihm jedoch in seiner Ab-
neigung gegen die blos malerischen Momente des gothischen
Stils, als Zwilligsthürme, Dachreiter, Wasserspeier u. s. f.,
als vom evangelischen Gesichtspunkt unorganische Gebilde,
Recht geben, so stimmen wir nicht mit ihm in Betreff
seiner Auffassung des Thurms überein. Statt seines vier-
eckigen, niedrigen, kastcnartigen Thurms mit flachen grie-
chischen Scitengiebeln, der architektonisch ganz zwecklos ist,
würden wir uns entschieden für einen mächtigen Kuppelbau
erklären, dessen Spitze grade in die Perpendikuläre über
der Kanzel fällt. Eine solche Kuppel, als symbolisches
Bild des Himmelsgewölbes selbst, würde kein unorganisches
Gebilde, sondern vielmehr ein architektonisch uothwendiges
Element sein, nemlich als oberer Abschluß der inneren
(elliptischen) Rundform. Aber auch praktisch wäre solche
Kuppel gerechtfertigt, indem der Unterbau derselben (etwa
achteckig) die Fenster für die Erleuchtung der ganzen Kirche
enthalten könnte, wodurch vielleicht ein zweiter schmalerer
Aufbau über dem Hauptkörper der Kirche ganz erspart
würde, während über dem inneren Kuppeldach selbst der
Glockenstuhl Platz finden könnte. Es ist zwar durch die Er-
fahrung bewiesen, daß Kuppeln in akustischer Beziehung nach-
theilig wirken — die Nikolaikirche giebt dafür einen Beleg —,
allein bei dem vorliegenden Plan würde sie im Innern
der Kirche zu wenig Raum einnehmen und auch durch
eine flachgewölbte Decke, über welcher sich erst die eigent-
liche Kuppel mit dem Glockenstuhl erhebt, abgeschlossen
werden können.

Von diesem einen Punkt abgesehen, müssen wir in Allem
mit voller Ueberzengung der aus dem Entwurf ..Ratio"
hervorleuchtenden Anschauung von der Aufgabe des evan-
gelischen Kirchcnstils beipflichtcn. Dieser eine Punkt aber
verlangt eine wesentliche Modifikation, und zweifeln wir
nicht, daß der Verfasser sich dazu gern herbeilasscn werde.
Im klebrigen verhehlen wir uns zwar nicht, daß — auch ab-
gesehen von seinem häßlichen Thurm — der Entwurf
mancherlei Anfechtungen erfahren werde. Noch Niemandem,
der es gewagt hat, ein neues, von dem bisherigen ab-
weichendes Princip aufzustellen, ist es leicht gemacht wor-
den, damit durchzudringen. Im vorliegendem Falle wird
der Verfasser des Entwurfs „Ratio" einen um so schwere-
ren Stand haben, als sein Plan Befremdliches, dem Auge
Ungewohntes genug hat und er selber noch unnöthiger-
weise diese Befrcmdlichkeit durch seinen entschieden unschönen
Thurmbau vergrößert hat. Dennoch — und selbst wenn

(was wir sehr bedauern würden) seinem Entwürfe nicht
die Ehre der Ausführung zu Theil werden sollte — sind
wir überzeugt, daß das darin zum ersten Male klar hin-
gestellte Princip, worin das Wesen und die Auf-
gabe des speci fisch evangelischen Kirch enstils
beruhe, sich über kurz oder laug Bahn brechen und schließlich
aus allen Anfechtungen einer sich selbst widersprechenden
Tradition oder eines konventionellen und principienlosen
Eklekticismus siegreich hervorgehen werde. M. Sr.

2. Permanente Gemälde-Ausstellung von Sachse.

Außer dem „Huß", welcher gegenwärtig die Aufmerksam-
unseres kunstliebenden Publikums fast ausschließlich in An-
spruch nimmt, ist Lessing noch durch eine „Landschaft" ver-
treten, in welcher der Künstler die ganze Innigkeit seiner
Empfindung für die in der deutschen Natur liegende Poesie
ausgesprochen hat; und zwar in einer so liebenswürdig
einfachen und fo künstlerisch gediegenen Weise, daß das
Herz^ des Beschauers unwiderstehlich davon angezogen und
gefesselt wird.. Die klare Bestimmtheit der Formen nähert
sich vielleicht in manchen ,Punkten einer gewissen Härte,
aber man vergißt dies über der Frische des Eindrucks und
der ganz objektiven Kraft der dichterischen Wirkung.
Lessing beweist durch dieses übrigens nicht zu seinen neue-
ren Werken gehörende Bild, daß er ans dem Gebiete der
Landschaftsmalerei mindestens dieselbe Bedeutung bean-
spruchen kann wie auf dem der Historienmalerei. — Einer
andern, mehr kolorisirenden Ricbtung gehört die ebenso
poetische wie technisch meisterhafte Landschaft, „Partie an der
Straße nach Thalkirchen" von Lang ko an. Von prachtvoller
Beleuchtung und schöner Zeichnung, namentlich in der Be-
handlung der Flächenperspcktive, zieht das Bild durch eine
Lieblichkeit und Anmnth der landschaftlichen Wirkung an,
deren Reiz bei längerer Betrachtung sich nur erhöht. —
Von Schleich ist ein großes Bild, eine weite Ebene mit
Dörfern, Wiesen, Seen u. s. f. und einem ziemlich farb-
losen Regenbogen ausgestellt, das uns ganz, abgesehen
von deni immer unmalerischen Regenbogen, wegen seiner
etwas schleimig-giftigen Farbe nicht gefallen hat, obschon
es schön gezeichnet ist. — Ein anderes Rcgenbogenbild
von Scherrcs hat wenigstens den Versuch gemacht, dies
Motiv poetisch zu behandeln. Hier erhebt sich der Regen-
bogen aus dem Meere und verleiht durch seine farbigen
Reflexe dem übrigens düsteren Charakter des Motivs ein
eigenthümlich geheimvolles Gepräge. Meisterhaft ist das
Wasser und der Strand behandelt, und dennoch wird solche
Aufgabe niemals vollkommen harmonisch zu losen sein,
weil die mathematische Form des Bogens, sowie die nicht
minder mathematische Regelmäßigkeit in der Aufeinander-
folge der Farben Roth, Violett, Blau, Orange, Grün
nothwendigerweise störend wirken muß. Dergleichen Na-
turerscheinungen wirken fast wie ein künstliches Feuerwerk,
eine Ausgabe, an der auch Osw. Achenbach gescheitert
ist. Viel poetischer und malerischer erschien uns daher ein
zweites Bild des talentvollen Künstlers „Am Ausgange
eines Eichenwaldes". Das Schneegestöber ist mit lobens-
werther Diskretion und dennoch mit unübertrefflicher Na-
turwahrheit dargestellt. Es ist ein feines und in sich voll-
endetes Meisterwerk, bis auf die Staffage von Holz suchenden
Weibern und Männern herab. —

Das Genre ist nur unbedeutend durch d'Unker's
,,Oslos far niente“ und »och unbedeutender durch Gün-
ther's „Heimkehrende Landleute" vertreten. „Wenig Witz
und viel Behagen," d. h. der Inhalt lohnet die Mühe der
Ausführung nicht.

3. Ueber die Ausstellung im Kunstverein, worin jetzt
die Blcibtreu'schen Schlachtgemälde die Aufmerksamkeit
des Publikums aus sich ziehe» und

4. Lepke's Salon, in welchem wieder eine Menge be-

deutender ausländischer Werke eingekehrt sind, werden wir
in der nächsten Nummer berichten. M. Sr.
 
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