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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 8.1863

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https://doi.org/10.11588/diglit.13517#0110

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sondern in erster Reihe, für sich zn kultiviren. Der In-
halt wurde dadurch mehr oder weniger zur Nebensache;
das Motiv, der „Vorwurf" zum Vorwand für Darlegung
einer technischen Virtuosität degradirt.

Damit war die Differenz gegen die Idee auch äußerlich
gesetzt; ja innerhalb der Technik selbst zeigte sich diese Diffe-
renz, insofern die Einen hauptsächlich die Zeichnung (Kompo-
sition) die Andern mehr die Farbe (das Kolorit) knltivirten.
Diese schon in den unmittelbaren Schülern Raphaels, na-
mentlich Giulio Romano, sich offenbarende Differenz
breitet sich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts immer
weiter ans und nimmt unter den Akademikern und Manieri-
sten schließlich ein fast bornirtes Gepräge von Schematisnius
an, worin die Idee, — wenn von solcher im raphaelischen
Sinne überhaupt hier noch die Rede sein kann — ver-
knöchert und geistlos erscheint. Hierin offenbart sich nun
eine Ernüchterung, welche »othwendig zu einer Reactiou
führen mußte, und zwar zu einer Reaction, die sich nun-
mehr gegen den Inhalt selbst richtete.

Der Inhalt nämlich war bisher immer noch ein we-
sentlich religiöser gewesen: Christusdarstellungcn und
besonders Madonnen waren gewissermaaßcn für jeden
Künstler, der sich einen Namen erwerben wollte, obligato-
risch. Man quälte sich, original zu sein, die Erfindung
war nicht mehr unmittelbares Erguß der mit den Idealen
der Anschauung erfüllten Phantasie, sondern eine Arbeit
des reflektirenden Verstandes. Das Beste wurde noch durch
Festhalte» au dem Traditionellen erreicht. Aber der inner»
Uebcrzeugung, daß die religiöse Kunstdarstellung konven-
tionell geworden, konnten sich die Künstler schließlich nicht
entschlagen. Solche Erkenntniß von der Leerheit des In-
halts führte naturgewäß dazu, einen anderen Inhalt zu
finden. Die antike Mythologie, welche durch die Sympa-
thie des raphaelischen Zeitalters für die Antike überhaupt
schon in der Blüthezeit .der italienischen Kunst in den
Bereich der Kunstdarstellung gezogen worden war, begann
nun fast die christlich-religiöse Malerei zu verdrängen und
nahm wenigstens einen sehr hervorragenden Platz unter
den Motiven der epigonen Richtungen ein. Aber eine we-
sentliche Reaction war darin doch noch nicht enthalten,
denn in der griechischen Mythologie war das religiöse
Element, wenn auch nicht als christliches, doch immer noch
als religiöses enthalten. Eine entschiedene Wendung konnte
nur dadurch erreicht werden, daß die Kunstanschaung über-
haupt eine ganz neue Bahn cinschlug, einen durchaus neuen
Inhalt sich aneignete.

Wenn wir nun gänzlich von der Realität der histo-
rischen Kunstentwickelung absehen, um die einfache philo-
sophische Frage aufzustellen: „Worin konnte nun zunächst
dieser neue Inhalt bestehen?" — so hängt die Beantwor-
tung derselben naturgemäß davon ab, was im Wesentlichen
der Inhalt der bisherigen Malerei war; worin das ihm
Eigcnthümliche und Charakteristische beruhte. Wenn Letzte-
res klar hingestellt werden kann, so liegt auf der Hand,
daß das Gegentheil davon das Wesen der neuen Richtung
bezeichnen muß. Der Inhalt der romantisch-klassischen Ma-
lerei mit Einschluß der epigonen Kunstrichtungen bestand

aber wesentlich darin, daß das Menschliche als daö
Göttliche erfaßt und dargestellt werden sollte.
Diese konstante Tendenz liegt nicht nur in der christlich-
religiösen Malerei des 16. Jahrhunderts, sondern auch in
den mythologisch-antiken Darstellungen dieser Zeit. Letz-
tere möchte ich von diesem allgemeinen Gesichtspunkte aus
nur als ein Mißverständnis; jenes de» Kunstbestrebungen
in der ersten Hälfte des 16. Jahrhundert überhaupt inne-
wohnenden Triebes bezeichnen. Beide aber, die Darstel-
lungen der christlichen wie die der heidnischen Mythologie,
setzten sich, da sie einmal obligatorisch und dadurch kon-
ventionell geworden waren, noch lange Zeit fort, als selbst
schon der neue Inhalt gefunden war. Zn diesem neuen
Inhalt also wurde das Kunstgefühl durch den Gegensatz
zu der Tendenz der christlich-antiken Romantik geführt.
Die Darstellung des „Menschlichen als des Göttlichen"
war nach allen Richtungen hin — dogmatisch und historisch-
biblisch, als kirchliche Legende und als antike Mythe —
mehr als erschöpft, und diese Erschöpfung übertrug sich
auf das Kunstgefühl selbst. Mit dem „Menschlichen als
dem Göttlichen" war man fertig: so wandte man sich mit
einem gewissen Ueberdruß davon ab und einerseits der o b -
j ektiv en Natur, als dem einfachen Gegensatz zu dem mensch-
lichen Subjekt — d. h. der Landschaft und dem Still-
leben— zu, andrerseits behielt man zwar den Menschen
als Motiv bei, aber man nahm ihn in seiner ungöttlichen,
natürlichen, wenn man will trivialen Existenz — d. h.
als Motiv für die Genre- und Porträtmalerei. Denn
die Auffassung des Menschen in seiner weltlichen, partiku-
lären Existenz steht in einem nicht minder großen Gegen-
satz zu der historisch- oder dramatisch-religiösen Betrach-
tungsweise desselben als die objektive Natur.

Gegenüber dem Idealismus der religiösen Malerei
repräsentireu diese Kunstrichtungen daher dem Inhalt
nach den Realismus, d. h. die wirkliche Natur und
den wirklichen Menschen. — Die Leistungen ans diesen
Gebieten erreichen ebenfalls wieder ihren Kulminations-
punkt in den Werken Von van Dyck, Rubens, Ruis-
dael, Brenghel, Snyders n. s. f. Dies ist ein ent-
schiedner Schritt, der sich in der nordischen Kunstentwickelung,
in den Deutschen, Franzosen und besonders den Niederlän-
dern des 17. und 18. Jahrhunders vollendet. Die nieder-
ländische Genremalerei zeigt den Menschen in seiner aller-
trivialsten Weise, zechende oder prügelnde Bauern, Wirths-
haussceneu u. s. f. Daö Extrem dieser Entidealisirnng
der Kunstanschauung ist denn schließlich der Kultus des
Naturstoffs selbst in seiner realen Unmittelbarkeit: Dar-
stellungen lebender und todter Thierc, Früchte und Blu-
men, kurz Alles, was man unter dem Ausdruck „Stillleben"
begreift. An dieser äußersten Grenze, zu welcher die Kunst-
darstellung gelangen kann, hat sie sich auf ihrem Wege
der Entidealisirnng abermals erschöpft. Sie verkümmert
nunmehr gänzlich. Inhaltslos wie sie geworden, macht
sie auch technisch Banqneroutte. Es tritt eine Zeit voll-
ständiger Verflachung und Barbarei ein, welche fast bis
in den Anfang unseres Jahrhunderts reicht.

(Fortsetzung folgt.)
 
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