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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 8.1863

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https://doi.org/10.11588/diglit.13517#0118

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102

des 18. Jahrhunderts — so verschieden in ihrem Grund-
princip, so weit auseinandergehend in der Substanz ihrer
Richtungen, so vielfältig in ihren technischen Erscheinungs-
formen sie seien — lassen sich doch sämmtlich aus dem einen
tief, wenn auch nur instinktartig gefühlten Bedürfniß erklä-
ren, sich von dem Druck des einseitigen und bis zur Triviali-
tät deprimirten Realismus der künstlerischer Ansckauung
zu befreien und überhaupt die Differenz, in welche
das Kunstgefühl, allerdings aus einem nothwendigen
Reactionsbedürfniß, gegen den Idealismus gerathen
war, wieder auszuheben.

Dies ist nun, was ich sogleich bemerken will, das
eigentlich treibende AgeuS der gesammteu Kunstbestrebun-
gen seit dem Wiederaufleben der Kunst in der zweiten
Hälfte des 18. Jahrhunderts bis auf den heutigen Tag:
die Versöhnung des Realismus mit dem Idea-
lismus — ein Ziel, dessen Erreichung der Kunst der
Zukunft Vorbehalten bleibt. Denn darüber darf man sich
»icht täuschen, daß die ganze Entwickelung der neueren
Kunst, mit Einschluß der Kunst der Gegenwart, entschieden
den Charakter einer liebergangsepoche trägt, und daß
das eigentliche Ziel, nach welchem die verschiedenen Richtungen
hinstreben, in der Zukunft liegt. — Wenn ich es im Folgen-
den unternehme, den Inhalt dieses zukünftigen Ziels an-
zudeuteu und im Berhältniß dazu die Stellung anzugeben,
welche die modernen Kunstrichtungen je nach ihrer Beson-
derheit diesem Ziel gegenüber einnehmen, so glaube ich
die Berechtigung dazu auf die Erkenntnjß jener inneren
Logik der Vernunft gründen zu dürfen, welche sich wie ein
rothcr Faden durch alle geschichtliche Entwicklung hindurch-
zieht; ein Faden, an dessen Knotenpunkten die epochema-
chende Erscheinungen der gesammteu Kulturgeschichte ange-
reiht sind, welche ohne jene Erkenntniß als unverbundene
Ereignisse und daher in zufälliger, isolirter Aufeinander-
folge sich darstellcn, mit derselben aber als folgerichtige
Gestaltungen eines innerlich treibenden Princips mit Noth-
wendigkeit begriffen werden....

Sobald das Bedürfniß, über die bis zur äußersten
Spannung gebrachte Differenz der realistischen Bestrebun-
gen des 17. und 18. Jahrhunderts gegen den Idealismus
der Blüthezeit des 16. hinauszukommen, als instinktives
Gefühl sich geltend zu machen begann, handelte es sich
nur noch um die Frage, ans welchem Wege diese Ver-
söhnung zu erreichen war. Wie immer in solchem Falle
war der Anfang der Regenerationsbestrebungen durch
Mißverständnisse bezeichnet. Man fühlte wohl, daß eine
neue Aufgabe gesetzt, ein neues Ziel in eine unbekannte
Zukunft hinaus gestellt sei — aber über der Richtung,
welche die zu diesem Ziel führende neue Bahn einzuschla-
gen habe, herrschte noch ein undurchdringliches Dunkel;
nämlich das Dunkel der Nacht, in welche der schaffende Geist
allmälig versunken war, und aus welcher er nur versuchsweise
hier- und dorthin lappend — also durch mannigfache Jrr-
thümer hindurch — dem rechten Wege sich mehr und niehr
zu nähern sich bestrebe, bis durch die zweifelhafte Däm-
merung die Morgenröthe des neuen Tages brach, welche
alle Nebel zerstreute und das rechte Ziel dem forschenden
Blicke in voller Klarheit erscheinen ließ.

In solchen Mißverständnissen hatte sich das Mittel-

alter Jahrhunderte lang abgehetzt, ehe cs gegen das Ende
des 15. Jahrhunderts zur Versöhnung gelangte, wie ich
früher auseinandergesetzt: in ähnlichen verirrten sich auch
die Bestrebungen der modernen Kunstentwicklnng gegen
das Ende des vorigen Jahrhunderts. Wersen wir jetzt
einen Blick aus die besonderen Gründe und Formen dieser
letzteren Verirrungen.

Eine Lösung des Widerspruchs zwischen Realismus
und Idealismus konnte aus-verschiedene Weise erstrebt,
in einer einzigen Form jedoch nur wahrhaft erreicht
werden. Der Nächstliegende Weg war eine Rückkehr
zum Idealismus d. h. zu der Gestaltung desselben,
wie er bereits in der Kunstgeschickte vorhanden gewesen
war, also entweder zum antiken Ideal der hellenischen
Kunstauschauung oder zum christlich romanti sch en Id eal
der raphaelischen Kunstblüthe. Dies Bedürfniß der Rück-
kehr zum klassischen Idealismus ist, bei dem absoluten
Mangel jedes selbstständig neuen Inhalts, ein so natur-
gemäßes, daß es durchaus nicht auffallen kann, wenn wir,
beim Rückblick aus die Anfänge der Regeneration auf diesem
Gebiete, als die ersten Symptome derselben sogleich eine
ganz entschiedene Hinneigung zum klassischen Al-
terthum wahrnehmen.

Auf dem theoretischen Wege kritisch-historischer Kunst-
wissenschaft waren es vor Allen Winckelmann, sodann
Lessing u. A., auf dem praktischen Wege künstlerischer Pro-
duction die David'sche Schule, Carstens und, um die
Verzweigungen dieser antikisirenden Richtung bis in die
neueste Zeit zu verfolgen, G en elli, welche jene Versöhnung
lediglich durch eine Rückkehr zum antiken Ideal erreichen zu
können glaubten. Zwar auf sehr verschiedene Weise; denn
während besonders Carstens eine edle, einfache Klassi-
cität, verbunden mit geistvoller Originalität des Inhalts,
zur Darstellung brachte, verflachte sich dies antikisirende
Princip i» der David'scheu Schule bald zu einem hoh-
len Pedantismus, den wir kurz als den „antiken Zopf"
charakterisiren können. Dies war ein unausbleibliches Re-
sultat: und wenn Carstens und Gen ell i durch die
originale Tiefe ihres Geistes diese Klippe zu vermeiden
wußten, so beweist sich doch der Anachronismus ihrer
Richtungen theils durch die Jsolirtheit ihrer künstlerischen
Stellung, theils durch den auffallenden Mangel jener
idealen Heiterkeit des Schaffens, welche die hellenische
Kunstentwicklung kennzeichnet. In ihnen erscheint die An-
tike ernsthaft, gleichsam als mühsam erworbenes Resultat
gewissenhafter Anstrengungen und melancholischer Ent-
sagung gegen die trivialen Freude» der Gegenwart. Auch
sind sie weit entfernt von Popularität.

Anders verhält es sich mit Winckelmann. Bei ihm
handelte es sich nicht um praktische Wiederbelebung des
hellenischen Ideals, sonder» um eine kritische, wissenschaft-
liche Verständigung desselben, welche in ihren Resultaten
von unberechnenbarem Vortheil für das Knnstverständuiß
überhaupt sein mußte. Ob Winckelmann alles Heil der
weiteren Kunstentwicklnng in der praktischen Rückkehr
zur Klassicität der hellenischen Formenwelt fand, ist zunächst
indifferent, da er kein praktisch ausübender Künstler, son-
dern nur Gelehrter war, und als solcher das Recht einer
tieferen Ergründung der hellenischen Kunstwelt, als sie
 
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