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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 8.1863

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https://doi.org/10.11588/diglit.13517#0202

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186

Auch im Innern ist schon Mancherlei geschehen. Doch
bleibt noch viel zu thun. — Hoffentlich wird es auch nicht
lange dauern, daß die letzten der zwischen den Strebepfeilern
hineingebauten kleinen Häuschen verfchwinden.

*** Marienwerder, Mitte Juni. (Restauration
des Doms.) Eine der bedeutendsten, mühseligsten nnd
kostspieligsten Arbeiten, die man in der Provinz Preußen
letztlich unternommen hat, ist die Restauration des
hiesigen Domes, der im nächsten Jahre das siebente
Jahrhundert seines Bestehens anhebt. Dieselbe wurde
bei dem Herannaheu der Säkularfeier durch den Konststo-
rialrath und Pfarrer Liedke 1861 angeregt, da sowohl
die Regierung als die Stadt sich dem Unternehmen geneigt
zeigten, beschlossen und bisher milden größten Anstrengungen
fortgeführt, um 1864 beendet zu sein. Ein gründlicher
Reparaturbau war seit lange dringendes Bedürfniß, wenn
das altchrwürdige, einst mit aller Pracht errichtete Denk-
mal der Ordenszcit erhalten werden sollte. Das himmel-
hohe Dach hat ganz abgetragen, ein großer Theil des fast
200 Fuß hohen großen Thurmes abgebrochen werden müssen,
weil das Mauerwerk an mehreren Stellen bis zu 10 Fuß
Tiefe verwittert war, und eö ist fast kein Theil des letzteren,
der nicht die gründlichsten Erneuerungen gefordert hätte.
Die Arbeiter schwebten aus fliegendem Gerüst zwischen
Himmel nnd Erde und kamen oft in die größte Gefahr,
um überall hinzugelangen. Besondere Schwierigkeiten mach-
ten die zierlichen Thürnichen an, Slldende, und mehrfache
Beschädigungen erlitten die Decker, welche den östlichen,
fast senkrechten Theil des Daches mit Schiefer einzudccken
hatten. Die in später Zeit dicht an den Dom gelehnte
Pfarrwiddem ist entfernt und auf Kosten des Konsist.-R.
Liedke an geeigneterer Stelle neu errichtet, wodurch der
Dom freigelegt und der Stadt ein brauchbarer Platz ge-
wonnen ist. Im April wurden die unmittelbar unter dem
Fußboden der Kirche befindlichen Grabgewölbe eröffnet
und geräumt. Die Särge darin stammten aus dem vo-
rigen Jahrhnnderl und war deren Inhalt zum Theil noch
sehr wohl erhalten. Halbverwitterte Ueberreste, die ca.
1 Fuß tief an der Außenseite der Gewölbe aufgegraben
wurden, bewiesen, daß frühere Inhaber derselben entfernt
worden waren, um denen Raum zu gönnen, die jetzt ihrer-
seits gewichen sind. — Es versteht sich, daß man, um den
Dom wieder her zu stellen, auf Alles aufmerksam ge-
wesen ist, was über die dunkle Baugeschichte des Denkmals
Aufschluß geben konnte. Diese zu erforschen waren schon
im Juli v. I. auch die Herren v. Quast und v. Stiller
hier anwesend, welche namentlich die ursprüngliche Deko-
ration des Innern untersucht haben. Eine Säkularschrift,
die herausgegeben werden soll, wird vielleicht Alles, was
sich bis jetzt über den Dom ermitteln ließ, zusammenfassen.
Wir geben hier in Kurzem wieder, was die schriftlichen
Quellen entnehmen ließen.

Nach dem Graudenzer Vertrage zwischen dem Bischöfe
Ernst von Pomesanien und dem deutschen Orden wurde
Marienwerder 1255 zum Sitz des pomesanischen Kapitels
bestimmt. Hiernach erscheint allerdings die Annahme, daß
die älteste Kathedrale am Ort erst 1264 begonnen wurde,
etwas zweifelhaft. Als dieser „geringe, unansehnliche" Bau,
wie ihn Bischof Bethold bezeichnet, den Einsturz drohte,
beschloß dieser seine Kirche fo großartig nnd prächtig neu
zu erbauen, wie es sich für sein Stift gezieme. Zum Be-
ginn des Neubaues machte er 1343 die erste Stiftung,
der dann im Laufe dieses und des folgenden Jahrhunderts
zahlreiche milde Beiträge folgten. Darf man die Jahres-
zahl der Inschrift eines der größeren Freskogemälde auf
der Nordseite des Innern zu Hilfe nehmen, welche die
Zeichen: M .. XLIX enthält, so wird die endliche Her-
stellung des jetzt vorhandenen Baues in das Jahr 1449
zu setzen seid, wenngleich er in den Haupttheilen schon 1391
vollendet sein mag, als die heilige Dorothea, die nach-
malige „Einsiedlerin vom Dom" von Rom dorhin kam,

„an den Thoren niedersaß und in dem Anblick dieses Gottes-
hauses eine Wonne empfand, mit der sie sich in St. Peters
Dom nicht begnadet gefühlt hatte." Es ist jedenfalls be-
merkenswerth, daß der Official von Riesenburg, Johann
von Posilge, der so manche Baunachricht giebt und in
seiner Chronik über den Schluß dieses Jahrhunderts und
den Anfang des folgenden ausführlich genug berichtet, über
den Bau des Doms durchaus Nichts beibringt. Da bis
jetzt keine Baunachrichten aufgefunden sind nnd die Kirchen-
akten nicht das Mindeste ergeben, so wäre dies Alles, was
man von der Entstehung des Domes weiß. Wie alle
Kapitelssitze war der „Thumb" zugleich mit Fortisikationen
versehen und neben der feit 1232 bestehenden, öfter zer-
störten und fester wiedererbauten Burg zu Marienwerder
ja mehr noch als diese, der Schutz der Bürger, die schon
1414 bei dem Andrange der polnifchen Horden ihre Stadt
anzündeten und vom Dom aus den Feind beschossen. Die
eigenthümliche Lage des Orts unfern der Weichsel, welche
er auf- und abwärts beherrschen sollte, zog begreiflicher-
weise manchen Feind an und war die Ursache mehrfacher
Zerstörung. Im dreizehnjährigen Kriege wurde 1460 die
Stadt ausgebrannt, das Schloß von den Polen genommen,
der Dom durch Unterminiruug zur Uebergabe gezwungen
und zum Theil verwüstet. Bischof Casper und sein Ka-
pitel gcriethen in die größte Armuth, so daß der Aufbau
Jahrzehnte erfordert und sich auf das Nothwendigste be-
schränkt haben wird. Noch weit schrecklicher war die Ver-
wüstung, die der Dom unter Bischof Hiob durch die Polen
erfuhr. Am 16. und 17. März des Jahres 1520 wurde
der Dom mit eisernern Kugeln, größer als gemeine Kar-
thaunen treiben, fast wie die „scharfe Metze" hart beschossen,
die Wehren am Schlosse gar wcggeschosseu, in Dom St.
Dorotheen Kapelle oben und ein Thurm an der Stadt
auch weggeschossen", wie der Bischof selbst an den Hoch-
meister des Ordens schrieb. „Der König wollte nur das
Geschütz probiren lassen", schrieb sein Vicekanzler, „und
es hat die tprobe gut bestanden. Manche Kugel durch-
drang zwei Mauern, ehe sie matt wurde." Die Folge
dieser damals „unerhörten" Geschützwirkungen war, daß
Stadt, Schloß und Dom, alle gleich zerstört, sich dem
Feinde am 18. März ergaben, und hier, wie überall im
Bisthum, die Gräuel des Krieges in ganzer Schrecklichkeit
wütheteu. Abermals war das Stift so verarmt, daß cs
den Gottesdienst nicht mehr erhalten und die Meßgeräthe
versetzen mußte, um für die Domherren Speise zu kaufen.
Seitdem herrschten hier die Noth und der Verfall. Zwar
sorgte der evangelisch gewordene Hochmeistcr, daß das Bis-
thum gleich dem samländischen dem neuen Bekenntnis; an-
hängig wurde und blieb', aber er konnte die evangelischen
Bischöfe aus ihrer Armuth nicht erheben. Erst vom Jahre
1539 finden wir die Notiz, daß Bischof Paul Speratus,
um „einige Wohngemächer am Dom" einzurichten und ihn
„in baulichem Wesen zu halten", eine Anleihe bei einem
Danziger Bürger gemacht hatte. Diese zu bezahlen, er-
bat und erhielt er vom Herzoge die Erlaubnis;: 100,000
Mauersteine von dem „Schlößlcin gegenüber dem Dom
gelegen" zu brechen und zu verkaufen. Die Burg mußte
zerstört werden, um den Dom zu erhalten! Jene erlitt
1798 noch weitere Zerstörung (s. Jahrg. 1862 S. 108
d. Bl.); von den weiteren Schicksalen der Kirche wissen
wir nur noch, daß Herzog Albrccht ihr in seinem Testa-
ment (1566) ein Legat von 100 fl. jährlich vermachte,
um „zu bauen und zu bessern, oder, wo es nicht mehr nö-
thig, den Prediglstuhl damit zu erhalten", eine damals
nicht unbedeutende Summe

Die Gegenwart hat zu erhalten gesucht, was sich noch
erhalten ließ. Die Ueberbleibsel des Schlosses sind 1862
restaurirt worden, der Doni wird 1864 möglichst in seinem
alten Glanze sich zeigen. Entspricht die ehemalige Ver-
zierung des Innern wenig dem, was wir heute unter Glanz
verstehen, so fordert doch die Pietät gebieterisch die Erhaltung
der für das 15. Jahrhundert großartigen Ausschmückung
 
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