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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 8.1863

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https://doi.org/10.11588/diglit.13517#0286

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dieses in vielfacher Beziehung interessanten Werkes zu er-
wecken, theils weil wir es in der oben angedenteten Be-
ziehung als die vollständigste und sicherste Quelle über
Rietschel's Leben schätzen, werden wir in Folgendem —
bevor wir zu einer näheren Charakteristik des unvergeßli-
chen Künstlers übergehen — einige Auszüge aus dem ersten
Abschnitt des Buches mittheilen, welcher die nach Riet-
schel's Selbstbiographie veröffentlichten „Jugender-
inuerungen" *) desselben umfaßt. — Was den zweiten
Abschnitt, „des Meisters Leben und Werke", betrifft, so
werden wir zwar auch hiervon einzelne interessante Aus-
züge mitthcileu, im Ganzen jedoch uns mehr kritisch zu
verhalten haben, namentlich gegenüber der ziemlich flüchtigen
Weise, in welcher das Wirken des großen Künstlers in der
Lübke'schen „Gesckichte der Plastik" behandelt worden ist.

Nach einer kurzen Bemerkung über den Grund seiner
„Erinnerungen aus meinem Leben" beginnt Rietschel mit
einer durch ebenso große Schlichtheit wie innerliche Ge-
fühlstiefe ergreifenden Beschreibung seiner Eltern:

„Mein Vater, Friedrich Ehregott Rietsch el, ge-
boren den 8. Februar 1768, war der älteste Sohn seiner
Eltern. Der Großvater, ein wackerer Seilermeister in
Pulsnitz, muß nach den Erzählungen meines Vaters ein
sehr verständiger, braver Mann gewesen sein. Was mein
Vater von ihm erzählte, habe ich damals unbeachtet aus-
genommen, so daß kein eigentliches Bild seiner Persönlich-
keit in meiner Vorstellung entstanden, ebensowenig von
meiner Großmutter. Mein Vater war seinem Aeußern
nach ein stattlicher Mann, groß, in jüngern Jahren mehr
hager. Sein Gesicht war einnehmend und ausdrucksvoll,
verständig und mild, man konnte cs im höhern Alter wohl
ehrwürdig nenne». Er war von weichem, empfänglichem
Gemüth, barmherzig, voll zärtlicher Liebe zu den Seinen,
christlich fromm, in der Noth fest im Vertrauen, in glück-
lichen Stunden unvergessen im Danke gegen Gott. In
die Kirche zu gehen. Morgen- und Abend-Hausandachtcn
zu halten, eine Predigt zu lesen, war ihm Bedürfniß, und
oft stimmte er im Bette vor dem Einschlafen noch ein
kurzes Abendlicd an, in das die Mutter und ich — der
ich in derselben Kammer schlief, und die wenigen Abcnd-
lieder, welche wegen ihrer Kürze für diesen Zweck in An-
wendung kamen, bald auswendig wußte — mit einstimm-
ten. Mein Vater hatte in seiner Jugend große Lust zum
Studiren, doch mein Großvater nicht die Mittel, darin
zu willigen, er mußte ein Handwerk lernen und ward zu
einem Verwandten, einem Beutler oder Handschuhmacher,
in die Lehre gethan. Nach damaligem Gebrauche hatte
er sich, nachdem er Geselle geworden war, auf's Wan-
dern begeben, ist aber nicht weit gekommen. Nachdem
er einige Jahre in Nixdorf, einem Orte an der bömi-
schen Grenze, gearbeitet, kehrte er zurück, und hat sich später
oft über diese kleine Reise, wie er sie nannte, lustig gemacht.

*) Der Verfasser sagt von denselben im Vorwort, daß sie
„als ein Vermächtniß für seine Familie von Rietschel selbst aus-
geschrieben »zud ihm (dem Vers., dem Schwager Rictschels) von
seiner Wittwe (der Schwester des Verf.'s) überlassen seien. „Ob-
wohl ursprünglich nicht für den Druck bestimmt, habe er sic doch
unverändert an den Eingang des Buches gestellt, tvo sie in ihrer
Schlichtheit am treusten den inneren Menschen wiederspiegeln".

In den ersten Jahren seiner Verheirathuug hatte er
der Lust und Freude an Büchern dadurch Genüge gethan,
daß er sich eine kleine Leihbibliothek — natürlich meist
Romane, die er alt kaufte — anlegte. Doch kam er im
Laufe des Krieges um die meisten Bücher. Sonntags und
wenn er wenig Arbeit hatte, war seine Freude, zu lesen.
Makulatur bei den Kauflenten ließ er gern durchsehen, ob
auch darunter etwas zu finden sein möchte, was ihm nütz-
lich werden könnte. Bei seinem Interesse an Astronomie
wußte er sich durch Bücher, die er sich zu borgen suchte,
ein Bild vom Planetensystem, Sonnen- und Mondfinster-
nissen, den Sternbildern n. s. w. zu verschaffen. Seine
drei Landkarten von der Erde, Europa und Deutschland
kannte er auswendig, neue Karten konnte er sich nicht kau-
fen. Den Nachbarn war er ein Rathgeber und Erklärer
von manchen Dingen, die über ihren Horizont gingen;
sie wandten sich an ihn, daß er ihnen Briefe und Auf-
sätze koncipirtc; stillschweigend und wie von selbst verständ-
lich erkannten sie seine Bildung als über der ihrigen ste-
hend au. Er machte sich meist Auszüge ans Büchern,
und rührend ist es, daß, als er einst „Bode's Betrachtung
des Weltgebäudcs" geliehen erhielt, und da er sich das
Buch nicht kaufen konnte — für einen bis anderthalb Tha-
ler wäre dies möglich gewesen — er fast alle Abende eines
Winters hindurch saß, um beinahe das ganze Buch ab-
zuschreiben.

Meine Mutter, Karolinc Salome Rollig, gebo-
ren den 6. September 1760, war das drittletzte Kind des
Schullehrers Rollig in Gersdorf, zwischen Pulsnitz und
Kamenz gelegen. Mein Urgroßvater war Schullehrer in
Königsbrück gewesen. Diese meine Großeltern habe ich
noch gekannt und mit meiner Mutter oft besucht. Der
Großvater war ein sehr ernster, strenger Mann, der we-
nig mit mir verkehrte und der mich schon sehr ermuthigte,
wenn er sagte: „Nun, Ernst, was machst du?" Ich hatte
den höchsten Respekt, ja Furcht vor ihm, wenn er, ein
großer, langer Mann mit gepuderter Pcrrückc und einer
langen Thonpfeife im Munde, uns empfing, meine Mut-
ter ernst aber liebevoll begrüßte. Er genoß große Liebe
und Achtung in seinem Dorfe, und hatte mit Frömmig-
keit und Treue sein Amt wohl geführt über fünfzig Jahre
lang. Die Großmutter war weicher und freundlicher, im-
mer wurde etwas vorgcsucht, entweder Obst oder Butter-
brot, fetter gestrichen als ich gewohnt war, um mich zum
Gefühle eines gern gesehenen Gastes zu bringen.

Meine Mutter war von außerordentlich sanftem Cha-
rakter, mehr schweigsam und in sich gekehrt; ich habe sie
nie heftig gesehen, und doch war sie nichts weniger als
phlegmatisch. Stets und unermüdlich thätig, aufopfernd
und entsagend aus innerster Demnth: in ihrem Aeußern
ein Muster weiblicher Sauberkeit und Nettigkeit. Ihr
Gesicht war wohlgebildet; in ihrer Jugend soll sie sehr-
hübsch gewesen sein. Ihr Ausdruck war srcuudlich, sanft,
bescheiden. Die Verhältnisse ihrer Eltern geboten, daß sie,
als sie erwachsen war, gleich den andern Schwestern in
ein dienendes Verhältniß eintreten mußte. So geschah es
denn, daß sie mein Vater als junger Beutlermeister in
Pulsnitz kennen lernte und sie heirathete.

Am 10. Oktober 1795 wurde meine älteste Schwester
 
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