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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 30.1912

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Westheim, Paul: Neue Räume im Hotel Atlantic in Hamburg
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https://doi.org/10.11588/diglit.7108#0044

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NEUE RÄUME IM HOTEL ATLANTIC IN HAMBURG

UNI) ANDERE ARBEITEN DER PÖSSENBACHER WERKSTÄTTEN;

Werkstätten, wie die von Pössenbacher
in München, spiegeln ein ganzes Stück
deutscher Kunstgewerbe-Entwicklung. Gene-
rationen sind von ihnen versorgt worden mit
Hausrat. Einem Hausrat, der in jedem der
wechselnden Jahrzehnte den Höhepunkt des zeit-
genössischen Geschmackes verkörpern wollte.
Im Lande herum, in Bayerns verschlafenen
Schlössern, in vielleicht schon etwas ange-
staubten Stadlwohnungen stehen die Kinder
einer so betriebsamen Unternehmung. Der alten
Pracht gesellen sich Einrichtungen bei, die die
letzte Generation sich zimmern ließ. Alles Dinge
von Anmut, von dauerndem Reiz, von verstän-
diger Gediegenheit.

Solch glanzvolle Vergangenheit ist eine Ver-
pflichtung. Sie schafft Ruf und Niveau, erzwingt
Vertrauen, wächst sich aus zu einer Stetigkeit,
die, um Entwicklung zu werden, sich bei jedem
Projekt aufs neue auseinandersetzen muß mit
jener Summe von Imponderabilien, die man als
„1 agesgeschmack" zusammenfassend bezeich-
nen könnte. Betrieb und Arbeiter sind einge-
stellt auf eine gewisse Leistungsfähigkeit; es
gilt bei einem in langen Jahren durch die guten
Leistungen eroberten Publikum die Überzeu-
gung wach zu halten, daß trotz aller Umwäl-
zungen das treffliche Niveau von gestern oder
vorgestern erhalten geblieben ist.

Eine Tradition von solcher Dauer, wie sie die
Pössenbacher Werkstätten hinter sich haben,
erlaubt nicht ein keckes, unentwegtes Hinein-
springen in eine Experimentiererei, die sich wie

ein ungewisser Jugendeifer einmal rücksichts-
los, unbefangen und unverantwortlich austoben
möchte. Es ist als ungeschriebenes Gesetz eine
Verantwortlichkeit da gegenüber einer Gesell-
schaft, die alle grelle, sensationelle, aufreizende
Affichenstimmung verwirft, die nach einer ab-
geklärten, gefälligen Konvention verlangt, der
wenig anProgrammen, alles an der distinguierten
Schönheit liegt. Diese selbstverständliche No-
blesse zu pflegen, ist eine Aufgabe, die dahin
führt, Erneuerungsversuche in dem Augenblick
aufzugreifen, da in ihnen die gentlemanlike
Geste sich anzudeuten beginnt. Als die Mo-
derne aus ihren Flegeljahren heraus war, als
sie den Ton getroffen hatte, der den Leuten von
Welt Behagen und Beifall abnötigte, wurde hier
bei Pössenbacher nicht erst ein zweckloses Ent-
gegenstemmen versucht. Die Forderung der
Stunde ist nicht nur begriffen, sondern mit einem
frisch-fröhlichen Eifer aufgenommen worden.
Als es galt, mit dem Künstler den Versuch zu
wagen, sind die besten Kräfte — wie die in
der „Deutschen Kunst und Dekoration" des
öfteren schon genannten Campbell, Pfeiffer,
Mossner u. a. — herangeholt worden.

Dieser Campbell, dem in allen Fingerspitzen
prickelt jene Kultiviertheit englischer Architek-
turgestalter, deren gefühlsmäßige Sicherheit uns
immer wie etwas Unerreichbares vor Augen
steht, hat in München — in dem Hotel Conti-
nental, dem entzückenden Odeon-Kasino, in
Landhäusern, Stadtwohnungen und Einzel-
slücken aller Art— eine Delikatesse entwickelt,

1912. VII. 4.

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