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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 30.1912

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Westheim, Paul: Neue Räume im Hotel Atlantic in Hamburg
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https://doi.org/10.11588/diglit.7108#0053

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Neue Räume im Hotel Atlantic—Hamburg.

haftem durch unsere Adern jagt, ist da Form
geworden. Die Lichter tanzen — nicht im Takt
des braven Rundtanzes aus der Kongreßzeit;
aufgeregter, stürmischer hüpfts aus der Fläche
heraus. Konturen zerknallen im Nichts und aus
den Silhouetten des Vogels, der Putten, der
Sterne und der Arabesken flackerts geistreich
wie aus den Sätzen eines modernen Essayisten.
Solchem Auftakt gegenüber konnte das Ganze
des Raumes gemessener gehalten werden. Nur
einmal noch an einer Kaminwand blitzts auf:
ein Spiegel hängt da, an dessen reichgeschnitz-
tem Rahmen Eduard Pfeiffer ein zweites Mal
all seine barocke Phantastik ausschüttet.

Wenn man aus solchen Räumen herauskommt,
die Sinne erfüllt von der Dramatik, die eine
Handwerkerphantasie da zur Auslösung ge-
bracht, möchte man es schier für unmöglich
halten, daß ein Raumensemble wie der Sitz-
ungssaal des Hamburger Marien-Mag-
dalenen-Stiftes den gleichen Händen ent-
sprossen ist. Die Stimmung ist so ganz anders,
daß man nach einem anderen Urheber sucht.
Wenigstens geht das uns so, die wir so viele
ihr bißchen Einseitigkeit bei jeder Gelegenheit
abhaspeln sehen. Wenn es eines Beweises für
die originale Gestalterkraft dieserPössenbacher-
Leute bedürfte, so wäre es das Nebeneinander
dieserbeidenHamburgerLeistungen. DerStifts-

POSSENBACHER
WERKSTÄTTEN.
ENTWURF VON
ED. PFEIFFER.

GESCHNITZTES
UNI) HEMALTES
ORNAMENT
IM PANEEL.

Reben; das Herz, das demütig vom Kreuz be-
herrschte, zittert unter den fröhlichen Trillern.
Türen, aus Brettern gefügt, die an den Zimmer-
mann denken lassen, mit Messingbeschlägen,
mit Filigranschnitzwerk, bekrönt von einem aus-
gesägten Oberlicht, das dem Arabeskenschmuck
eines persischen Liebesepos entnommen sein
könnte, oder von einer schnurrigen Galerie, die
nach Japonerien, chinesischen Glasuren oder
indischen Elfenbeinschnitzereien verlangt. Auf
dem Paneel, da wo die Pilaster nach einer Last
verlangen, feiert der Geist der barocken Chinoi-
serien liebenswürdige Auferstehung in kleinen
Aufbauten, die wie verrankte Blumenlauben
ein Zopffräulein umschließen. Sie sind Füllung,
die die von Hand gemalte Ornamentik des
Spannstoffes noch um einen plastischen Akzent
bereichern. Die Fensterseite wurde hergerichtet
für den Maler, der in den vielen Feldern der
Phantasie die Zügel schießen lassen durfte. Alles
höchst anmutig und alles im Hinblick auf die
Gesamtharmonie, die so vielerlei witzige Erfin-
dung wie ein Band umschließt.

Der anstoßende Raum, dessen Pathos ge-
drungener ist — mehr das des Louis XIV. denn
des Louis XVI., könnte man sagen —, wird
beherrscht von einem mächtigen Relief. Ein
Bildhauerwerk von seltenem Charme. Alles, was
an Nervosität, an Differenziertheit und Sprung-

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