Münchner Frühjahrs-Secession.
MARIA
caspar-
filser.
»römische
land-
schaft«
freiung des malerischen Ausdruckes von objek-
tiven Hemmungen, von fremden, nicht im Ge-
fühle verankerten Bestandteilen. Daß einige
Hitzköpfe sogleich bis ans Ende gehen und in
bedingungsloser Monologie murmelnd ver-
sinken, darf keinen Freund der Kunst er-
schrecken. Jede neue Bewegung steht in ihren
Anfängen unter megalomanischen Trübungen.
Erinnern wir uns nur daran, daß die neue reli-
giöse Mythenbildung, an der unser ganzer Kul-
turkreis dringlich arbeitet, mit der Botschaft
„Gott ist tot" in die Welt trat. Erinnern wir
uns daran, daß vor zehn, vor zwanzig Jahren
das „Ende der Philosophie" verkündigt wurde
und daß eben der Geist, der in dieser Auf-
lehnung zutage trat, jetzt mit Eifer an der neuen
geistigen Organisierung des Weltbildes tätig ist.
Denken wir auch daran, daß, um dem neuen
supra-naturalistischen Drama den Weg zu öff-
nen, das pompöse Schlagwort vom Ende des
Dramas, vom Bankerott des Theaters von nöten
war. Es ist ein alter Satz: die Revolution weiß
niemals, welches ihre Beweggründe und wel-
ches ihre Ziele sind. Und denjenigen, die in der
jüngsten malerischen Sklavenbefreiung das
Herannahen des vollkommenen Chaos zu er-
blicken meinen, möge gesagt sein, daß der gute
Geist der Form eher aus einem Übermaß an
Freiheit, als aus einem Übermaß an Beschrän-
kung seine Förderung zu ziehen vermag. Die
Revolutionen haben zwar immer behauptet, sie
seien Auflehnungen gegen jede Heteronomie.
In Wirklichkeit aber sind sie alle : Sehnsucht
nach einem neuen Zwang, nach einem neuen
Gesetz.
Vielleicht bedarf es einer Bitte um Entschul-
digung, daß ich diese Zeilen, die eigentlich ein
Referat sein wollten, so sehr mit diesen all-
gemeinen Erörterungen beschwert habe. Aber
das Allgemeine dieser Ausstellung ist wich-
tiger als ihr Besonderes. Ich nehme sie zum
Anlaß, um das Programmatische der neuen Be-
wegung auszusprechen und gebe auf diese
Weise mehr Ausstellern eine Bestätigung, als
ich bei sorgsamer Wanderung von Bild zu Bild
geben könnte. Einen sehr knappen Auszug aus
dem Material vermitteln überdies die Abbil-
dungen, wenn sie auch nicht so einseitig auf die
Illustrierung der hier besprochenen Neuerungen
eingestellt sein können.
Kein Wunder, daß in dieser Ausstellung die
Kollektion Otto Greiners, Gemälde, Studien,
Radierungen und Zeichnungen, als Fremdkörper
wirkt. Da sich aus dieser Versammlung seines
Lebenswerkes keinerlei neue Gesichtspunkte
zur Beurteilung desselben ergeben, versage ich
mir — nicht ungern — in diesem Falle das
kritische Wort. wilhelm michel.
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MARIA
caspar-
filser.
»römische
land-
schaft«
freiung des malerischen Ausdruckes von objek-
tiven Hemmungen, von fremden, nicht im Ge-
fühle verankerten Bestandteilen. Daß einige
Hitzköpfe sogleich bis ans Ende gehen und in
bedingungsloser Monologie murmelnd ver-
sinken, darf keinen Freund der Kunst er-
schrecken. Jede neue Bewegung steht in ihren
Anfängen unter megalomanischen Trübungen.
Erinnern wir uns nur daran, daß die neue reli-
giöse Mythenbildung, an der unser ganzer Kul-
turkreis dringlich arbeitet, mit der Botschaft
„Gott ist tot" in die Welt trat. Erinnern wir
uns daran, daß vor zehn, vor zwanzig Jahren
das „Ende der Philosophie" verkündigt wurde
und daß eben der Geist, der in dieser Auf-
lehnung zutage trat, jetzt mit Eifer an der neuen
geistigen Organisierung des Weltbildes tätig ist.
Denken wir auch daran, daß, um dem neuen
supra-naturalistischen Drama den Weg zu öff-
nen, das pompöse Schlagwort vom Ende des
Dramas, vom Bankerott des Theaters von nöten
war. Es ist ein alter Satz: die Revolution weiß
niemals, welches ihre Beweggründe und wel-
ches ihre Ziele sind. Und denjenigen, die in der
jüngsten malerischen Sklavenbefreiung das
Herannahen des vollkommenen Chaos zu er-
blicken meinen, möge gesagt sein, daß der gute
Geist der Form eher aus einem Übermaß an
Freiheit, als aus einem Übermaß an Beschrän-
kung seine Förderung zu ziehen vermag. Die
Revolutionen haben zwar immer behauptet, sie
seien Auflehnungen gegen jede Heteronomie.
In Wirklichkeit aber sind sie alle : Sehnsucht
nach einem neuen Zwang, nach einem neuen
Gesetz.
Vielleicht bedarf es einer Bitte um Entschul-
digung, daß ich diese Zeilen, die eigentlich ein
Referat sein wollten, so sehr mit diesen all-
gemeinen Erörterungen beschwert habe. Aber
das Allgemeine dieser Ausstellung ist wich-
tiger als ihr Besonderes. Ich nehme sie zum
Anlaß, um das Programmatische der neuen Be-
wegung auszusprechen und gebe auf diese
Weise mehr Ausstellern eine Bestätigung, als
ich bei sorgsamer Wanderung von Bild zu Bild
geben könnte. Einen sehr knappen Auszug aus
dem Material vermitteln überdies die Abbil-
dungen, wenn sie auch nicht so einseitig auf die
Illustrierung der hier besprochenen Neuerungen
eingestellt sein können.
Kein Wunder, daß in dieser Ausstellung die
Kollektion Otto Greiners, Gemälde, Studien,
Radierungen und Zeichnungen, als Fremdkörper
wirkt. Da sich aus dieser Versammlung seines
Lebenswerkes keinerlei neue Gesichtspunkte
zur Beurteilung desselben ergeben, versage ich
mir — nicht ungern — in diesem Falle das
kritische Wort. wilhelm michel.
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