Stagnation als Ideal?
nicht Erziehung zum Geschäftsgeist? Welcher
Architekt wird sich solcher Forderung unter-
werfen wollen, der künstlerisch selbständig ist,
geschäftlich unabhängig sein kann?
Denn wenn große Künstler neben großen
d. h. hervorragenden Baudenkmälern der Vor-
zeit neue Werke errichten, die nicht allzu disso-
nant zum alten, zum Gesamtbaubild wirken
sollten — so ist das ein himmelweiter Unter-
schied. — Wir aber fordern Anpassung an In-
ferioritäten, an Nichtigkeiten. Darin liegt die
Gefahr — die für Kunststädte unbedingt ver-
hängnisvoll werden muß, ja schon geworden
ist. Man wird große neue Bauschöpfungen
nicht mehr dort suchen und finden — sondern
in Städten, in denen die Gegenwart mit ihren
Forderungen und Idealen auch künstlerisch zu
klarem Ausdruck kommen darf. In den Han-
delsstädten am Rhein, am Meer, in „neuen"
Städten. — Es heißt doch den Geist des Aristo-
kratismus der Kunst geradezu verleugnen, ja
abschaffen, wenn der Künstler seine Schöpfung
zu Gunsten pietätischer Erinnerung an irgend
einen obskuren Baumeister der Vorzeit beein-
trächtigen, zerstören soll. Besonders lächerlich
in einer Zeit so vieler neuer technischer For-
derungen und Möglichkeiten, so starken ideellen
Bekenntnisses und reich an resoluten Persön-
lichkeiten. Alle Großtaten der Architektur
haben die Physiognomie der Städte, ja der Land-
schaften verändert, umgeprägt.
Dieses Umprägen setzt freilich anderes vor-
aus als Fähigkeiten, die schon fast mit den
Reflexbewegungen niederer Organismen ver-
glichen werden könnten.
Was die Werke eines Olbrich, eines Behrens
für unsere Zeit als Baudenkmäler bedeuten,
kann nicht genug betont werden. Diese Künst-
ler überragen die viel zu vielen Anpasser
riesenhaft, sie sind Führer. In Kunststädten, wo
Tradition, Pietät, „Geschmack" als formal ewig
bindende Gesetze regieren — wird man deren
Werke vergeblich suchen.
Der alte Römer nannte die Gewässer stag-
nierend, die aus dem Überflusse der Ströme
sich gebildet, abseits stehen bleiben.
Unser Wort „geschmackvoll" ist schon fast
ein Synonym für „stagnierend". Nur wo das
Kunstschaffen nicht mehr im Fluß, wo jedes
„Andersschaffen" als Verstoß gegen „Tradi-
tion" und „Geschmack" und „Anpassung" auf-
gefaßt und perhorresziert wird — ist „ge-
schmackvolle" Mittelmäßigkeit garantiert.
Man hat jetzt Angst vor jeder Kraft, die Altes
und Schwaches wegstößt. Man liebt die Ruhe
der Abwässer, in denen die Welt sich viel
schöner spiegelt. So viel Staaten und Städte
schon an Übersättigung zu Grunde gegangen —
am Wohlbefinden in einer einzigen Richtung
— so werden auch in Zukunft nur die künstle-
rischen Organisationen und Sphären sich Kraft
erhalten, die jene Andersartigen gelten lassen,
die Geschmack geben, nicht aber voll sind vom
Geschmack anderer Zeiten und Personen.
Die paragraphenmäßige Festlegung eines
Geschmacks, d. h. der Anpassung, hat überdies
noch andere Gefahren als die notwendige Folge
künstlerischen Stillstandes.
Gesetze sind für alle. Das Gesetz der An-
passung an ein Vorbild, Nebenbild, Abbild zu
erfüllen wird dem Unselbständigen immer leich-
ter als dem Manne, der eigene Melodien, eigene
Gedanken verfolgt. Also die Mittelmäßigen
werden profitieren, die Großen müssen aus-
scheiden. Viele Beispiele aus der Gegenwart
sind denen geläufig, die die künstlerische Kon-
kurrenz unserer Zeit aufmerksam verfolgen.
Versagte man früher dem Nichtkünstler jede
Geschmacks Vorschrift — und das mit Recht
— so wird er durch paragraphenmäßige Eng-
herzigkeit im Geschmack zum Geschmacksur-
teilen autorisiert wie jeder andere. Urteilen ist
nur noch Vergleichen der Vorschriften mit der
Erfüllung. Dieser Umschwung der Beurteilung
durch konsequente Anwendung baugeschmack-
licher Verordnungen in Stadt und Land wird
nicht bemerkt. Zu Gunsten der Künstler voll-
zieht er sich nicht. Gerade im Reich der Kunst,
kunstgeschichtlich hat nur Bestand das Recht
des Stärkeren. Die Protektion der Mittelmäßig-
keit führt zu einem künstlerischen Zukunfts-
staat — in dem irgendwelches Überragen, An-
dersmachen,NegierenherrschendenGeschmacks
weder geduldet noch honoriert werden darf.
Weshalb zeigt sich jetzt innerhalb gewisser
Künstler-Kategorien eine so starre Vorschriften-
macherei? Haben nicht genug rein philosophisch-
ästhetische Lehrvorschriften sogar Fiasko ge-
macht? Oder meint man — man dürfe jetzt
mal alle Sondererscheinungen im Reiche der
bauenden und angewandten Künste unter-
drücken? — Jetzt wäre die Zeit da zur Ruhe,
zum Stillstand, zur Stagnation?
Ausgerechnet jetzt, da neue Aufgabenstel-
lungen für die Architektur doch schlechterdings
nicht geleugnet werden können??
Nein — wer nur etwas Respekt vor unserer
Zeit, unsern Künstlern hat, kann nicht annehmen,
eine so süffisante Anschauung — wie die „es
ist erreicht" gäbe Grund zur paragraphenmäßi-
gen Befürwortung stagnierender Anpassung.
Sei's lieber Mangel an Umschau, an Konse-
quenz, an Einsicht, oder Lust am Gesetze
machen — nur Süffisance sei es nicht. — e. w. b.
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nicht Erziehung zum Geschäftsgeist? Welcher
Architekt wird sich solcher Forderung unter-
werfen wollen, der künstlerisch selbständig ist,
geschäftlich unabhängig sein kann?
Denn wenn große Künstler neben großen
d. h. hervorragenden Baudenkmälern der Vor-
zeit neue Werke errichten, die nicht allzu disso-
nant zum alten, zum Gesamtbaubild wirken
sollten — so ist das ein himmelweiter Unter-
schied. — Wir aber fordern Anpassung an In-
ferioritäten, an Nichtigkeiten. Darin liegt die
Gefahr — die für Kunststädte unbedingt ver-
hängnisvoll werden muß, ja schon geworden
ist. Man wird große neue Bauschöpfungen
nicht mehr dort suchen und finden — sondern
in Städten, in denen die Gegenwart mit ihren
Forderungen und Idealen auch künstlerisch zu
klarem Ausdruck kommen darf. In den Han-
delsstädten am Rhein, am Meer, in „neuen"
Städten. — Es heißt doch den Geist des Aristo-
kratismus der Kunst geradezu verleugnen, ja
abschaffen, wenn der Künstler seine Schöpfung
zu Gunsten pietätischer Erinnerung an irgend
einen obskuren Baumeister der Vorzeit beein-
trächtigen, zerstören soll. Besonders lächerlich
in einer Zeit so vieler neuer technischer For-
derungen und Möglichkeiten, so starken ideellen
Bekenntnisses und reich an resoluten Persön-
lichkeiten. Alle Großtaten der Architektur
haben die Physiognomie der Städte, ja der Land-
schaften verändert, umgeprägt.
Dieses Umprägen setzt freilich anderes vor-
aus als Fähigkeiten, die schon fast mit den
Reflexbewegungen niederer Organismen ver-
glichen werden könnten.
Was die Werke eines Olbrich, eines Behrens
für unsere Zeit als Baudenkmäler bedeuten,
kann nicht genug betont werden. Diese Künst-
ler überragen die viel zu vielen Anpasser
riesenhaft, sie sind Führer. In Kunststädten, wo
Tradition, Pietät, „Geschmack" als formal ewig
bindende Gesetze regieren — wird man deren
Werke vergeblich suchen.
Der alte Römer nannte die Gewässer stag-
nierend, die aus dem Überflusse der Ströme
sich gebildet, abseits stehen bleiben.
Unser Wort „geschmackvoll" ist schon fast
ein Synonym für „stagnierend". Nur wo das
Kunstschaffen nicht mehr im Fluß, wo jedes
„Andersschaffen" als Verstoß gegen „Tradi-
tion" und „Geschmack" und „Anpassung" auf-
gefaßt und perhorresziert wird — ist „ge-
schmackvolle" Mittelmäßigkeit garantiert.
Man hat jetzt Angst vor jeder Kraft, die Altes
und Schwaches wegstößt. Man liebt die Ruhe
der Abwässer, in denen die Welt sich viel
schöner spiegelt. So viel Staaten und Städte
schon an Übersättigung zu Grunde gegangen —
am Wohlbefinden in einer einzigen Richtung
— so werden auch in Zukunft nur die künstle-
rischen Organisationen und Sphären sich Kraft
erhalten, die jene Andersartigen gelten lassen,
die Geschmack geben, nicht aber voll sind vom
Geschmack anderer Zeiten und Personen.
Die paragraphenmäßige Festlegung eines
Geschmacks, d. h. der Anpassung, hat überdies
noch andere Gefahren als die notwendige Folge
künstlerischen Stillstandes.
Gesetze sind für alle. Das Gesetz der An-
passung an ein Vorbild, Nebenbild, Abbild zu
erfüllen wird dem Unselbständigen immer leich-
ter als dem Manne, der eigene Melodien, eigene
Gedanken verfolgt. Also die Mittelmäßigen
werden profitieren, die Großen müssen aus-
scheiden. Viele Beispiele aus der Gegenwart
sind denen geläufig, die die künstlerische Kon-
kurrenz unserer Zeit aufmerksam verfolgen.
Versagte man früher dem Nichtkünstler jede
Geschmacks Vorschrift — und das mit Recht
— so wird er durch paragraphenmäßige Eng-
herzigkeit im Geschmack zum Geschmacksur-
teilen autorisiert wie jeder andere. Urteilen ist
nur noch Vergleichen der Vorschriften mit der
Erfüllung. Dieser Umschwung der Beurteilung
durch konsequente Anwendung baugeschmack-
licher Verordnungen in Stadt und Land wird
nicht bemerkt. Zu Gunsten der Künstler voll-
zieht er sich nicht. Gerade im Reich der Kunst,
kunstgeschichtlich hat nur Bestand das Recht
des Stärkeren. Die Protektion der Mittelmäßig-
keit führt zu einem künstlerischen Zukunfts-
staat — in dem irgendwelches Überragen, An-
dersmachen,NegierenherrschendenGeschmacks
weder geduldet noch honoriert werden darf.
Weshalb zeigt sich jetzt innerhalb gewisser
Künstler-Kategorien eine so starre Vorschriften-
macherei? Haben nicht genug rein philosophisch-
ästhetische Lehrvorschriften sogar Fiasko ge-
macht? Oder meint man — man dürfe jetzt
mal alle Sondererscheinungen im Reiche der
bauenden und angewandten Künste unter-
drücken? — Jetzt wäre die Zeit da zur Ruhe,
zum Stillstand, zur Stagnation?
Ausgerechnet jetzt, da neue Aufgabenstel-
lungen für die Architektur doch schlechterdings
nicht geleugnet werden können??
Nein — wer nur etwas Respekt vor unserer
Zeit, unsern Künstlern hat, kann nicht annehmen,
eine so süffisante Anschauung — wie die „es
ist erreicht" gäbe Grund zur paragraphenmäßi-
gen Befürwortung stagnierender Anpassung.
Sei's lieber Mangel an Umschau, an Konse-
quenz, an Einsicht, oder Lust am Gesetze
machen — nur Süffisance sei es nicht. — e. w. b.
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