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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 30.1912

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Kleine Kunst-Nachrichten
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https://doi.org/10.11588/diglit.7108#0442

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Kleine Kunst-Nachrichten.

ARCHI TEKT HEINRICH 1 ESSEM i\V—DRESDEN.

B1LDTJNGSANSTALT JACQUES DALCRO/.E HELLEKAI".

DAS HELLERAUER FESTSPIEL-HAUS. Von
der Gartenstadt Hellerau haben wir schon
berichtet, von den freundlichen Straßen und den
manierlichen Häuschen, die dicht vor den Toren
Dresdens ein schönes Zeugnis geben von dem
kulturellen Eifer, der Deutschlands entartete Wohn-
verhältnisse überwinden möchte. Nun braucht man
garnicht der Meinung zu sein, daß die Gartenstadt
und das Einfamilienhaus die endgültige Lösung
der großstädtischen Wohnungsfrage bedeuten; man
kann ganz gut die Einwände, die eine unnatürliche
Rückkehr zur Natur und eine sentimentale Freude
am Primitiven fürchten, ahnungsvoll und schon
halb überzeugt teilen. Und man wird doch gern
durch die liebenswürdige Ordnung und die milde
Menschlichkeit von Hellerau spazieren. Man wird
dabei ein wenig optimistisch über die soziale
Mission des zur Qualität begeisterten Produzenten
(speziell der Deutschen Werkstätten) nachdenken,
und wird dann sehr überrascht sein, auf der Höhe
der leichtbewegten Landschaft ein Haus zu er-
blicken, das einen aus dem Bereich irdischer Re-
formen in die Welt des entklärten Rhythmus hebt,
das Haus der Dalcroze-Schule. Es scheint ein
Abstraktum, mehr Maß als Stoff, mehr Gebärde
als Körper, scheint sichtbar gewordene Musik.
Dieses Haus, das Heinrich Tessenow baute, ist

1912. XII. 11.

ganz frei vom monumentalen Pathos und zwingt
uns doch gewaltig zu ehrfürchtiger Begeisterung
und zu schweigendem Erwarten des tönenden
Rhythmus. Dies Haus ist der Gartenstadt ver-
wandt; es ist eine Befreiung vom inhaltlosen Kul-
turbalast. — Es ist nicht verwunderlich, daß gegen
dieses Festhaus sich einwenden läßt: es sei eigent-
lich mehr Graphik als Architektur. Das wurde
auch gegen das Hagener Krematorium des Peter
Behrens gesagt. Beide, Behrens wie Tessenow,
schöpfen ihre Produktivität aus dem Intellekt.
Was sie tun, ist mehr eine geometrische Nieder-
schrift, mehr eine rhythmische Kalligraphie als
eine sinnliche Auseinandersetjung mit dem Material
und den ihm innewohnenden Kräften. Van de Velde
hat einmal gesagt, daß er auf die Zeit warte, da
Möbel und Häuser gegossen würden. Für Behrens
und Tessenow könnte das Paradoxon Geltung
haben: daß der Prozeß des Bauens, unbekümmert
um irgend welchen Rohstoff, nur ein Abstecken von
Proportionen sei. Sie sind beide Fanatiker des
Raumes; sie mißtrauen der Schwere, die den Kör-
pern anhaftet. Darum sollen eben ihre Häuser
keine Körper, sondern Räume sein, und auch dieses
nur in dem Sinne einer Abstraktion aus dem kos-
mischen Raum. Gewiß, es ist solche Art der Pro-
duktion, es ist dies Festhaus des Tessenow viel-

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