Die Krise im Jranzösischen Kunstgeiverbe.
tonischen und schwankenden Formen des neu-
französischen Künstlerstils von den ausgereiften
und glänzend durchgearbeiteten Formen der
höfischen Stile bei weitem übertroffen. Diese
fluchwürdige „beaute" — man muß wirklich
ein wenig Savonarola spielen — ist schuld daran,
daß die französischen Künstler bis auf den
heutigen Tag noch nicht von der Meinung los-
gekommen sind, das Möbel sei vor allen Dingen
ein Dekorationsproblem. Daher auch die be-
deutende Rolle, die Blumen, Pflanzen und In-
sekten heute noch in französischen Kunstzeit-
schriften spielen. Daher vor allem auch die
gefährliche Betonung, die man hier auf den
Bestandteil „Kunst" in dem Worte „Kunst-
gewerbe" legt. Gemeint ist damit immer
„Kunst" im Sinne von launischer Erfindung,
von reizvoller, malerischer Regellosigkeit, von
genialisch-ungezügelter Mentalität. Ja, selbst
nüchterne Männer versteigen sich hier zu der
greulich mißverstandenen Kontrastierung: deut-
sches Kunstgewerbe — Wille, Disziplin, Gesin-
nung, Tüchtigkeit; französisches Kunstgewerbe
— Erfindung, Laune, Genialität.
„Munich ne nous depasse pas encore", ver-
sichert Clement-Janin, und fährt dann fort:
„Um die künstlerische Hegemonie zu erobern
(gemeint ist natürlich: Auf dem Gebiete des
Kunstgewerbes), dazu braucht man andere
Dinge als Wille, Zucht und geschickte Arbeiter,
man braucht Künstler. Der Künstler aber ist
ein seltenes Gewächs, unterworfen, wie Taine
gezeigt hat, den Einflüssen der Rasse, der Zeit
und der Umgebung, und zugleich ist er auch
ein isolierter, erlauchter und infolgedessen
außergewöhnlicher Schößling. Solche Individua-
litäten besitzt Frankreich immer, und zwar von
höherer Art, als Deutschland sie hervorbringt.
Unsere Künstler haben weniger von Schule
und Doktrin an sich, sie besitzen mehr Feinheit
der Empfindung und Originalität. Man ahmt sie
nach, sie selbst ahmen niemanden nach".
Und so fort. Man lächelt über die liebens-
würdige Ahnungslosigkeit, die sich hier kund-
300
tonischen und schwankenden Formen des neu-
französischen Künstlerstils von den ausgereiften
und glänzend durchgearbeiteten Formen der
höfischen Stile bei weitem übertroffen. Diese
fluchwürdige „beaute" — man muß wirklich
ein wenig Savonarola spielen — ist schuld daran,
daß die französischen Künstler bis auf den
heutigen Tag noch nicht von der Meinung los-
gekommen sind, das Möbel sei vor allen Dingen
ein Dekorationsproblem. Daher auch die be-
deutende Rolle, die Blumen, Pflanzen und In-
sekten heute noch in französischen Kunstzeit-
schriften spielen. Daher vor allem auch die
gefährliche Betonung, die man hier auf den
Bestandteil „Kunst" in dem Worte „Kunst-
gewerbe" legt. Gemeint ist damit immer
„Kunst" im Sinne von launischer Erfindung,
von reizvoller, malerischer Regellosigkeit, von
genialisch-ungezügelter Mentalität. Ja, selbst
nüchterne Männer versteigen sich hier zu der
greulich mißverstandenen Kontrastierung: deut-
sches Kunstgewerbe — Wille, Disziplin, Gesin-
nung, Tüchtigkeit; französisches Kunstgewerbe
— Erfindung, Laune, Genialität.
„Munich ne nous depasse pas encore", ver-
sichert Clement-Janin, und fährt dann fort:
„Um die künstlerische Hegemonie zu erobern
(gemeint ist natürlich: Auf dem Gebiete des
Kunstgewerbes), dazu braucht man andere
Dinge als Wille, Zucht und geschickte Arbeiter,
man braucht Künstler. Der Künstler aber ist
ein seltenes Gewächs, unterworfen, wie Taine
gezeigt hat, den Einflüssen der Rasse, der Zeit
und der Umgebung, und zugleich ist er auch
ein isolierter, erlauchter und infolgedessen
außergewöhnlicher Schößling. Solche Individua-
litäten besitzt Frankreich immer, und zwar von
höherer Art, als Deutschland sie hervorbringt.
Unsere Künstler haben weniger von Schule
und Doktrin an sich, sie besitzen mehr Feinheit
der Empfindung und Originalität. Man ahmt sie
nach, sie selbst ahmen niemanden nach".
Und so fort. Man lächelt über die liebens-
würdige Ahnungslosigkeit, die sich hier kund-
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