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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 66.1930

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Michel, Wilhelm: Arbeiten von Marie Laurencin
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https://doi.org/10.11588/diglit.9256#0153

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MAE IE LAÜRKNCIN—PARIS

»RUHENDE JUNGE FRAUc

ARBEITEN VON MARIE LAURENCIN

In der französischen Kunst kann sich ein
Cheret neben einem Toulouse - Lautrec be-
haupten — nicht weil die Unterschiede zwischen
beiden nicht gesehen würden, sondern weil das
Verbindende stärker ist als sie. Frankreichs
Kultur vermag das Leichte, das Tändelnde
mühelos neben dem Ernsten und Großen in
sich zu fassen und ihm einen gesicherten Platz
zu geben. Sie weiß es zu züchten, sie weiß es
rein zu erhalten, daß es im Klingen und in der
Echtheit bleibt. Sie weiß es neben das Wuch-
tige und Grüblerische zu stellen, ohne gegen-
seitige Beeinträchtigung. Das Lächeln hat Bür-
gerrecht in Frankreichs Weise, die Welt zu er-
leben ; es ist ein wesentlicher Zug in seinem
Gesicht, und deshalb stehen die Künstler, die
dieses Lächeln in ihrem Werke haben, ehren-
voll neben denen, die andere Züge dieses Ge-
sichtes ausprägen.

Marie Laurencin ist weder tief noch geist-
reich, weder stark noch großartig, sie ist nur
eine der echtesten Verkörperungen des Liebens-
würdigen in der Kunst, die in diesen letzten
Dezennien hervorgetreten sind. Sie ist reines
Lied aus leichter Kehle, mehr Duft als Materie,
mehr Schein als Wesen. Das liegt schon in der
Mache ihrer Bilder. Ihre Kunst läßt sich kaum
auf das Individuelle der süßen Geschöpfe ein,
die sie darstellt. Es sind nur Hauche von Men-

schen, zärtliche Schatten ohne Gewicht und
Schicksal, flach wie die Figuren von einem
Wandteppich, zeitlos wie die Gestalten der
Märchen. Sie haben ihre Gesichter nicht, um
die besondere Seele, die in jedem Menschen
wohnt, zu zeigen, sondern um etwas Allge-
meines an Lächeln auszusenden, ein Lächeln
ins Blaue hinein, das nichts Bestimmtes be-
deutet, wie das Lächeln der Blumen Blonde
Haarflut, dunkle Augen- und Lippenpaare, zum
Dreieck gestellt — fast stereotyp kehrt es wie-
der, und was diese Gestalten im Ganzen dar-
stellen, ist eine heitere, schimmernde Ballett-
Welt, die keinen Augenblick daran denkt, wirk-
liche Welt zu sein; und die doch nicht Lüge ist,
so wenig wie das Märchen Lüge ist, sondern
immerfort die Wahrheit wiederholt: Es gibt das
Lächeln auf Erden, es ist Zärtlichkeit unter uns.
Die Frauen Renoirs sind immer in einen un-
sichtbaren Schleier gehüllt, in den Schleier
ihrer Weiblichkeit. Bei Marie Laurencin kehrt
dieser Schleier wieder, noch leichter und duf-
tiger, ein Schleier von Mädchenhaftigkeit, von
Traum und lieblicher Irrealität. Ihre Gestalten
verflüchtigen sich oft zu bloßen Ornamenten;
sie sind gesehen wie von Kindern, die beim
Sehen ständig dichten und sublimieren. Wie gut
läßt sich der Welterfolg verstehen, der dieser
Künstlerin beschieden war! Sie hat diesen

XXXIII. Juni 1930. I
 
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