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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 66.1930

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Nemitz, Fritz: Persönlichkeit und Richtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.9256#0155

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Persönlichkeit und Richtung

Kirchner wird nicht geschätzt, weil
er einmal zur „Brücke" gehörte,
Klee nicht, weil man ihn zu den
Abstrakten rechnet, sondern weil
beide interessante Persönlichkei-
ten sind. — So wie der Wagne-
rianer alle Musik, auch die der
Gegenwart an der Tristan-Musik
mißt, der Anhänger Schönbergs
die absolute Musik des Richtungs-
führers als Maßstab nimmt, so sieht
der Konstruktivist die Malerei der
Zeit unter dem Gesichtswinkel
seiner optischen Einstellung, wie
der abstrakte Maler überall das
Gegenstandslose sucht. Kurz, die
Richtung nimmt ihren Anhängern
den freien, ungehemmten Blick für
alles, was nicht zu ihr gehört. Diese
Voreingenommenheit und Abbien-
dung bedeutet weniger eine Ge-
fahr für die Persönlichkeit als für
die Begabung; je instinktloser,
je unpersönlicher sie ist, umso
fester wird sie sich dem Programm
der Richtung anschließen. — Die
Persönlichkeit im Kaleidoskop der
unmittelbaren Gegenwart festzu-
stellen, erscheint einfacher, als es
in Wahrheit ist. Für die Kunst

MARIE LAÜRKNCIN—PARIS. »MADCHEN MIT ROSEc

MARIE LAt'RENCIN. »AGNES SORELc

der Vergangenheit ist es äußerst leicht; von
Giotto bis Corinth weiß man, auch wenn man
es nie gefühlt und erlebt hat, wer Persönlich-
keit ist und wer nicht. Aber wer ist heute
unter den vielen, die Geltung haben, Persön-
lichkeit? Wie kann man sie feststellen?

Alles Wissen nützt wenig, um sie zu er-
kennen. Denn hier geht es nicht um be-
weisbare Realitäten. Daß dieser oder jener
Künstler sein Handwerk meisterhaft ver-
steht, ist ohne große Schwierigkeiten zu
erkennen. Wird er aber zur Persönlichkeit
erhoben, so wird das Urteil auf Grund ge-
fühlsmäßiger, instinktiver, oft unklarer Kri-
terien gefällt. Entscheidend ist das Maß der
inneren Erregung, der Erschütterung, das
Dämonische im Werke der Persönlichkeit,
das auf einen überspringt und das Urteil be-
gründet. — Dabei fehlt das objektiv Gültige.
Das besorgt der strengste aller Richter, die
Zeit selbst. Festzustellen ist aber auch in
unserer Gegenwart die Persönlichkeit, unge-
achtet dessen, daß das Genie der folgenden
Generation ein von allem bisher Bekannten
abweichendes Gesicht tragen wird. dr. f. n.
 
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