EMIL ORLIK, EIN SECHZIGJÄHRIGER!
VON MAX OSBORN
Es ist ja gewiß noch kein Greisenalter, bei
dem unbedingt, mit dem Kollegen Goethe
zureden, „entzahnte Kiefer schnattern" — wie
vom „Schreiber dieses" aus eigner Erfahrung
versichert werden kann —, gleichwohl ist es
unglaubhaft, daß die verkörperte jugendlich-
sprühende Beweglichkeit, die wir Emil Orlik
nennen, diese auf zwei Beine gestellte Schöpfer-
lust und Lebensgier, schon den Triumphbogen
am Eingang des siebenten Jahrzehnts durch-
schreiten soll. An diesem liebenswerten Mann
und Künstler ist alles spähendes Umsichblicken,
glückseliges Einsaugen der Welteindrücke, Fa-
natismus des Tätigseins, zähe Selbstprüfung,
um die eingeborenen Gaben von Tag zu Tag
reifer zu entwickeln; auch von fern her läßt
sich irgendein Begriff des Alterns damit noch
lange nicht in Einklang bringen.
In jungen Jahren hat Orlik zuerst als Gra-
phiker Ruhm geerntet. Wie Felix Valloton in
Frankreich und William Nicholson in England,
war es in Deutschland, neben Otto Eckmann,
vor allem dieser Deutschböhme, der völlig neue
Ausdrucksmittel des Bilddrucks gewann, indem
er die primäre Reproduktionskunst des Holz-
schnitts in der natürlichen Sparsamkeit ihrer
Sprache aus dem öden Strichelbetrieb, in den
sie versunken war, erlöste. Ich bin damals, es
waren noch ein paar Jahre vor 1900, in dem
alten Turm auf der Smetanka zu Prag zu seiner
Werkstatt hinaufgeklettert, die er sich dort
oben eingerichtet hatte (durchsFenster schweifte
der Blick über die verschnörkelt-üppige Barock-
herrlichkeit der Stadt), um zu sehen, wie er
den Holzstock vornahm, mit kleinen Messern
darin herumschnitt und die Druckplatten für
die grauen und gelblichen Tönungen vorberei-
tete, mit denen er das Schwarzweißbild zu be-
leben suchte. Die Anregungen, die von dieser
Kunstübung Orliks ausgingen, sind unüberseh-
bar. Später hat er dann das Messer in die
Schublade gelegt und dafür die Radiernadel
hervorgeholt. Sofort wurde auch sie mit der
gleichen handwerklichen Gewissenhaftigkeit um
die Bedingungen ihrer Wirkung befragt, mit der
gleichen technischen Meisterschaft gehandhabt.
Das stieg über ungezählte Massen von reizvollen,
mit sämtlichen Raffinements bedachten Blättern
bis zu den riesigen Kupferplatten auf, in die er
die Erscheinung würdigster Objekte einritzte.
XXXIII. Juli 1930. 1
VON MAX OSBORN
Es ist ja gewiß noch kein Greisenalter, bei
dem unbedingt, mit dem Kollegen Goethe
zureden, „entzahnte Kiefer schnattern" — wie
vom „Schreiber dieses" aus eigner Erfahrung
versichert werden kann —, gleichwohl ist es
unglaubhaft, daß die verkörperte jugendlich-
sprühende Beweglichkeit, die wir Emil Orlik
nennen, diese auf zwei Beine gestellte Schöpfer-
lust und Lebensgier, schon den Triumphbogen
am Eingang des siebenten Jahrzehnts durch-
schreiten soll. An diesem liebenswerten Mann
und Künstler ist alles spähendes Umsichblicken,
glückseliges Einsaugen der Welteindrücke, Fa-
natismus des Tätigseins, zähe Selbstprüfung,
um die eingeborenen Gaben von Tag zu Tag
reifer zu entwickeln; auch von fern her läßt
sich irgendein Begriff des Alterns damit noch
lange nicht in Einklang bringen.
In jungen Jahren hat Orlik zuerst als Gra-
phiker Ruhm geerntet. Wie Felix Valloton in
Frankreich und William Nicholson in England,
war es in Deutschland, neben Otto Eckmann,
vor allem dieser Deutschböhme, der völlig neue
Ausdrucksmittel des Bilddrucks gewann, indem
er die primäre Reproduktionskunst des Holz-
schnitts in der natürlichen Sparsamkeit ihrer
Sprache aus dem öden Strichelbetrieb, in den
sie versunken war, erlöste. Ich bin damals, es
waren noch ein paar Jahre vor 1900, in dem
alten Turm auf der Smetanka zu Prag zu seiner
Werkstatt hinaufgeklettert, die er sich dort
oben eingerichtet hatte (durchsFenster schweifte
der Blick über die verschnörkelt-üppige Barock-
herrlichkeit der Stadt), um zu sehen, wie er
den Holzstock vornahm, mit kleinen Messern
darin herumschnitt und die Druckplatten für
die grauen und gelblichen Tönungen vorberei-
tete, mit denen er das Schwarzweißbild zu be-
leben suchte. Die Anregungen, die von dieser
Kunstübung Orliks ausgingen, sind unüberseh-
bar. Später hat er dann das Messer in die
Schublade gelegt und dafür die Radiernadel
hervorgeholt. Sofort wurde auch sie mit der
gleichen handwerklichen Gewissenhaftigkeit um
die Bedingungen ihrer Wirkung befragt, mit der
gleichen technischen Meisterschaft gehandhabt.
Das stieg über ungezählte Massen von reizvollen,
mit sämtlichen Raffinements bedachten Blättern
bis zu den riesigen Kupferplatten auf, in die er
die Erscheinung würdigster Objekte einritzte.
XXXIII. Juli 1930. 1