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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 66.1930

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Ozenfant, A.: 50 Künstler porträtieren eine Frau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9256#0237

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50 KÜNSTLER PORTRÄTIEREN EINE FRAU

Die Galerie Flechtheim-Berlin zeigt eine Aus-
stellung von 50 Bildnissen, die eine und
dieselbe Person darstellen: die Pariser Film-
schauspielerin Maria Lani. Eine Ausstellung,
die Wert hat nicht nur durch die bedeutenden
Künsllerpersönlichkeiten, die hier vertreten sind,
sondern auch als ein Dokument des mensch-
lichen Sehens und Auffassens: gerade weil das
Modell das gleiche bleibt, springt die Unter-
schiedenheit der Aussagen lebhaft hervor. Jeder
der beteiligten Künstler rückt einen anderen
Zug in den Vordergrund und jeder gibt dabei
zugleich eine Selbst-Offenbarung. Das Ergebnis
hat etwas höchst Fesselndes, fast Erschüttern-
des. Man gewahrt eine nach allen Richtungen
schillernde Frauengestalt, und man bekommt
zugleich einen Begriff davon, wieviele Arten
des Welterblickens, wieviele „Welten" jedes-
mal in dieser anscheinend so eindeutigen Welt
nebeneinander leben. Man mag sich ange-
sichts dieses Beispiels erneut die Frage vor-
legen, wie es um die Berechtigung jener For-
derung nach „Porträtähnlichkeit" bestellt ist,
die im Verhältnis des Laien zur Kunst eine so

große Rolle spielt —■ und die so oft auf das
naive Ansinnen hinausläuft: Sieh bitte dieses
Ding oder Wesen genau so wie ich es sehe —
oder in anderen Worten: Nur meine Götter,
Götzen, Begriffe, Werte und Grundgefühle sind
gültig, die deinigen nicht. Es gibt eine Viel-
seitigkeit der Dinge und Geschöpfe, und es
gibt eine Vielseitigkeit der menschlichen Be-
trachtung. Man mag an unserem Beispiel er-
messen, was es um jene endgültige, umfassende
und totale Wahrheit ist, auf die wir uns alle
verpflichtet fühlen, um jene „Fülle der Wahr-
heit", die wir nur allzuoft schon dann erfaßt
zu haben wähnen, wenn wir ein einziges Frag-
ment von ihr erwischt haben.

Sachlich ist zu sagen, daß man in diesen 50
Dokumenten den grundsätzlichen Unterschied
einer schroff subjektivistischen Einstellung von
einer mehr auf das Objekt gerichteten studieren
kann. Manche begnügen sich mit einer geist-
reichen Randbemerkung zum Thema, d. h. sie
gehen auf die Erscheinung des Modells über-
haupt nicht ein, sondern geben nur (wie etwa
Braque) ein literarisch geprägtes Epigramm über

XXXIII. Juli 1930. 3
 
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