Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten (66.1930)

WIE SIEHT DIE FRAU ?

Unter diesem Titel, der Aufmerksamkeit
wecken will, hat die „Wiener Frauen-
kunst", der Verband bildender Künstlerinnen
und Kunsthandwerkerinnen, in den Terrassen-
sälen der Wiener Burg eine Ausstellung ver-
anstaltet. Diese Gruppe von Schaffenden ist
auch Mitglied der internationalen Vereinigung
berufstätiger Frauen und hat unter der ziel-
bewußten und opferfreudigen Führung von
Fanny Harlfinger bereits auf schöne Erfolge
hinzuweisen.

Der enge Zusammenschluß und das geeinigte
Auftreten weiblicher Kräfte hat sich überall
aus Notwendigkeit gebildet, denn das immer
feindliche und zerstörende männliche Gegen-
über hat das Niveau seiner eigenen Geistigkeit
meist schon durch einige Bemerkungen und
Urteile preisgegeben. Von Gnaden männlicher
Überhebung und langgepflegter Einbildung
waren nur hie und da kleine und dunkle Plätze
für die Frau zu erwarten, niemals aber heller

Raum zur freien Entfaltung der vorhandenen
Persönlichkeitswerte.

Eine günstige Gelegenheit für das Studium
ihres gewonnenen Bereiches ergibt sich bei
einer so geschlossenen Darbietung wie der
jetzigen. Auch im Verband der bildenden Künst-
lerinnen und Kunsthandwerkerinnen gibt es
bereits ausgeprägte Erscheinungen. Auf jedem
Gebiet finden sich Individualitäten.

Schon gleich im zunächstliegenden Kunstge-
werbe ist eine überraschende Mannigfaltigkeit
und eine wohl unterscheidbare Differenziertheit
vorhanden. Zum Beispiel im Keramischen sind
Arbeiten von Susi Singer und Hertha
B u c h e r infolge ihrer Eigenart leicht ausein-
anderzuhalten. Oder im zarten Strich der Hand-
arbeit etwa Fini Ehrendorfer-Skarica und
Hilde Wagner-Ascher. Eine klare Erschei-
nung ist Emmy Zweybrück-Prochaska,
mit der Nennung ihrer Entwürfe für Stoffe und
ihrer traumhaften Spielfiguren ist der Umfang

XXXIII. August 1930. 3