EDELSCHMIEDE-ARBEITEN VON H. J. WILM-BERLIN
VON PROF. L. SEGMILLER—PFORZHEIM
Jedem ist vertraut, wie die Werkstatt des
neunzehnten Jahrhunderts die Arbeits-
erfolge früherer Zeiten kraftlos in das eigene
Gestalten verwob, und wie der Künstler später
mit Zeichenbrett und Stift als Entwerfer den
Werkgeist aus ihr verdrängte. Die neue Zeit
hat ihn zurückerobert; ohne historischen Ein-
schlag durchpulst er das moderne Schaffen.
Mehr wie je und inniger als andere Zweige der
angewandten Künste ist aber die Gold- und
Silberschmiedekunst mit den Forderungen der
Zweckmäßigkeit und des Materials verschwistert
Zweckmäßigkeit ist zugleich Zeitgemäßheit, Ma-
terialforderung zugleich technische Forderung.
Ganze Stadtviertel werden niedergerissen und
neu aufgebaut. Die Wohnungsreform ist tat-
sächlich zu einer neuen Wohnform gediehen.
Streng und hart pocht der neue Geist auch an
die Werkstattüre des Edelschmieds. Seine
Situation als Sachwalter des köstlichsten Ma-
terials ist schwierig. So manche haben angesichts
der formalen Askese nun den Stoffwillen ver-
gessen oder glauben ihm in der primitivsten
Art gerecht zu werden. Allein Leere und Dürf-
tigkeit widersprechen ihm. Ebenso eine Ge-
staltung, die unedlem Material gerecht ist, so
einfache Kisten-, Scheiben-, Zylinder - Formen
und Halbkugeln. Sonderbar: Auch die moderne
Wohnung fordert, gerade weil sie fast nichts
Schmückendes mehr enthält, in dem Wenigen
das Edle. Hand oder Maschine ohne Geist ist
Barbarismus. Umso mehr, wenn es sich um
die Wunder der Steine, um die Köstlichkeit
von Gold und Silber handelt. Das Ornament
der alten Art ist tot, aber die Form ist in aller
Verantwortung auferstanden.
Zu den Edelschmieden, die sie in voller
Schwere fühlen, gehört H. J.Wilm, Berlin. Kein
Wunder, seine Werkstatt blickt als Familien-
besitz auf Jahrhunderte zurück. Dies ist Ver-
pflichtung aber auch Reichtum des Erbes. Tra-
dition nicht der Form, aber der Haltung und
des Geistes. Solches tut not auch in dem sich
neu formenden Weltbild. Denn jede Wand-
lung ist nicht ohne Beziehung. Selbst in den
stärksten Gegensätzen erstehen, weil alles Fluß,
Entwicklung ist, Zusammenhänge. Unser Ziel im
Goldschmiedehandwerk kann daher nimmer
Verachtung des Stoffes heißen. Es muß lauten:
veredelte Formung, höchste Qualität der neu-
zeitlichen Leistung, kurz Besinnung auf den
alten Werkstattgeist.
Ein Äußerliches. Wilms Beschauzeichen:
das Wappen mit dem Bären als Herkunfts-
stempel, das Wappen mit der Krone und den
Buchstaben H. J. W. als Zeichen des Werk-
geschlechtes, das Wappen mit den Buchstaben
F. R. als Beschauzeichen des jetzigen Inhabers
und Erzeugers. Dies ist keine muffige Alter-
tümelei, aber eine Betonung der individuellen
Arbeit und nicht zuletzt ein Wertstempel. Kom-
mende Zeiten und Sammler werden das Be-
schauzeichen wieder zu schätzen wissen, wie
wir heute den Stempel alter europäischer oder
ostasiatischer Metallarbeiten und Porzellane.
Das Wesentliche. Die Form ist für den Künst-
ler Wilm aus der Zweckmäßigkeit emporge-
brachte Architektur. Ich sage absichtlich Ar-
chitektur, denn Konstruktion, Kalkül allein
heißt noch nicht bauen. Je einfacher die Form
ist, desto feinsinniger muß das Verhältnis der
Gliederung, je härter die Funktion ruft, desto
künstlerischer die Gestaltung sein. Man spüre
auch den, der die Flächen wölbt.
Mag man heute auch mit neuen Werkzeugen,
ja selbst mit der Maschine als Werkzeug ar-
beiten, — unter dem Leben der Form muß
sich die Lebendigkeit des Handwerks regen,
XXXm. September 1930. 8
VON PROF. L. SEGMILLER—PFORZHEIM
Jedem ist vertraut, wie die Werkstatt des
neunzehnten Jahrhunderts die Arbeits-
erfolge früherer Zeiten kraftlos in das eigene
Gestalten verwob, und wie der Künstler später
mit Zeichenbrett und Stift als Entwerfer den
Werkgeist aus ihr verdrängte. Die neue Zeit
hat ihn zurückerobert; ohne historischen Ein-
schlag durchpulst er das moderne Schaffen.
Mehr wie je und inniger als andere Zweige der
angewandten Künste ist aber die Gold- und
Silberschmiedekunst mit den Forderungen der
Zweckmäßigkeit und des Materials verschwistert
Zweckmäßigkeit ist zugleich Zeitgemäßheit, Ma-
terialforderung zugleich technische Forderung.
Ganze Stadtviertel werden niedergerissen und
neu aufgebaut. Die Wohnungsreform ist tat-
sächlich zu einer neuen Wohnform gediehen.
Streng und hart pocht der neue Geist auch an
die Werkstattüre des Edelschmieds. Seine
Situation als Sachwalter des köstlichsten Ma-
terials ist schwierig. So manche haben angesichts
der formalen Askese nun den Stoffwillen ver-
gessen oder glauben ihm in der primitivsten
Art gerecht zu werden. Allein Leere und Dürf-
tigkeit widersprechen ihm. Ebenso eine Ge-
staltung, die unedlem Material gerecht ist, so
einfache Kisten-, Scheiben-, Zylinder - Formen
und Halbkugeln. Sonderbar: Auch die moderne
Wohnung fordert, gerade weil sie fast nichts
Schmückendes mehr enthält, in dem Wenigen
das Edle. Hand oder Maschine ohne Geist ist
Barbarismus. Umso mehr, wenn es sich um
die Wunder der Steine, um die Köstlichkeit
von Gold und Silber handelt. Das Ornament
der alten Art ist tot, aber die Form ist in aller
Verantwortung auferstanden.
Zu den Edelschmieden, die sie in voller
Schwere fühlen, gehört H. J.Wilm, Berlin. Kein
Wunder, seine Werkstatt blickt als Familien-
besitz auf Jahrhunderte zurück. Dies ist Ver-
pflichtung aber auch Reichtum des Erbes. Tra-
dition nicht der Form, aber der Haltung und
des Geistes. Solches tut not auch in dem sich
neu formenden Weltbild. Denn jede Wand-
lung ist nicht ohne Beziehung. Selbst in den
stärksten Gegensätzen erstehen, weil alles Fluß,
Entwicklung ist, Zusammenhänge. Unser Ziel im
Goldschmiedehandwerk kann daher nimmer
Verachtung des Stoffes heißen. Es muß lauten:
veredelte Formung, höchste Qualität der neu-
zeitlichen Leistung, kurz Besinnung auf den
alten Werkstattgeist.
Ein Äußerliches. Wilms Beschauzeichen:
das Wappen mit dem Bären als Herkunfts-
stempel, das Wappen mit der Krone und den
Buchstaben H. J. W. als Zeichen des Werk-
geschlechtes, das Wappen mit den Buchstaben
F. R. als Beschauzeichen des jetzigen Inhabers
und Erzeugers. Dies ist keine muffige Alter-
tümelei, aber eine Betonung der individuellen
Arbeit und nicht zuletzt ein Wertstempel. Kom-
mende Zeiten und Sammler werden das Be-
schauzeichen wieder zu schätzen wissen, wie
wir heute den Stempel alter europäischer oder
ostasiatischer Metallarbeiten und Porzellane.
Das Wesentliche. Die Form ist für den Künst-
ler Wilm aus der Zweckmäßigkeit emporge-
brachte Architektur. Ich sage absichtlich Ar-
chitektur, denn Konstruktion, Kalkül allein
heißt noch nicht bauen. Je einfacher die Form
ist, desto feinsinniger muß das Verhältnis der
Gliederung, je härter die Funktion ruft, desto
künstlerischer die Gestaltung sein. Man spüre
auch den, der die Flächen wölbt.
Mag man heute auch mit neuen Werkzeugen,
ja selbst mit der Maschine als Werkzeug ar-
beiten, — unter dem Leben der Form muß
sich die Lebendigkeit des Handwerks regen,
XXXm. September 1930. 8