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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 68.1931

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Secker, Hans Friedrich: Camille Bombois - Paris
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https://doi.org/10.11588/diglit.9248#0161

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Camillc Bomlois-Paris

stark verkürzten Häuser und Dächer beein-
trächtigen in keiner Weise die ruhige Stimmung
des Orts. Ein paar Kirchgänger schreiten feier-
lich über das dunkelgraue Pflaster. Andere
Menschen stehen in den Haustüren. Es ge-
schieht nichts, und doch ist die Atmosphäre
dieser Gasse voll von Erleben. Das Ungewöhn-
liche der Arbeitsruhe erhebt alle Einzelheiten
zu einer stummen Festlichkeit, und die Farben
stimmen harmonisch ein in diesen Klang. Am
Ziel der Straße stößt ein hohes Dach in zartem
Rosa, ohne süßlich zu wirken, in die reine
blaue Luft, — ein Problem, an dem schon viele
gute Maler scheiterten; Bombois hat es mit un-
befangener Delikatesse gelöst.

Fast immer sind die Motive dem ländlichen
Thema entnommen. Die Großstadt, in der er
lebt, scheint weniger Eindruck auf den Maler
zu machen. Er braucht sie nur, um seine Sehn-
sucht nach Dörfern, Flüssen und Kanälen le-
bendig zu erhalten. Und wenn er Menschen
darstellt, so sind es keine Pariser, sondern es
sind ganz einfache Leute der Arbeit oder des
Landes, allenfalls Artisten, mit denen er einst
von Dorf zu Dorf gezogen. Aber auch weib-
liche Akte hat er gemalt, in kleinem Format
auf schwarzem Grunde, und gerade das sind
die Fälle, in denen man gelegentlich an alte
deutsche Meister denken kann.

Oft stehen auf Bombois' Bildern die Dinge
mit einer herben Härte im Raum, die im ersten
Augenblick befremdet. Verweilt man länger,
so erschließt sich die kristallklare Reinheit von
Luft und Farbe, wie bei dem Gemälde „Die
Angler" (Abb. S. 141) der Kasseler Galerie,
und man erkennt die unerschütterliche Not-
wendigkeit der strengen Verteilung. Wer bei
den Impressionisten stehen geblieben ist, den
mutet dieses Neue vielleicht unfranzösisch an.
Man muß viel weiterzurückgehen, sogar bis in die
Zeit derGotik, um einem verwandtenLiniengefühl
zu begegnen. Aber diese geistige Verbindung mit
alter primitiver Kunst unterstreicht wiederum
die Modernität unseres Meisters, der mit er-
staunten Augen die Natur so wiedergibt, wie
er sie sieht, und zugleich mit einem unüber-
trefflich sicheren Instinkt für gute Komposition.
Man versuche nur, einen der beiden angelnden
Männer um ein Geringes aus seiner Stellung
abzurücken, und die selbstverständliche Ruhe
des Aufbaus wäre zerstört. — Was aber Bom-
bois in wohltuendem Abstand von der heute
oft gepriesenen nüchternen Sachlichkeit hält,
das ist die sinnliche Leuchtkraft seiner Farben.
Der große Vermeer hatte dieses strahlende Ko-
lorit, das den Beschauer lockt und froh macht.
Ein gelbes Kornfeld hinter saftgrünen Wiesen,

helle Häuser an einem glasklaren Fluß, am
Horizont ein Hang mit blühenden Feldern unter
durchsichtig blauem Himmel, so sind die wirk-
sam zusammengefügten Bildteile, die von den
beiden dunkelblauen Schwerpunkten der Ang-
ler gleichsam schwebend getragen werden.

Es ist lehrreich, eine Landschaft aus Bom-
bois' ersten Anfängen, die „Wäscherinnen" der
Sammlung Marcel Monteux-Paris (Abb. S. 138),
und den „Kanal in l'Armancon" der Sammlung
Gregory-Sevres (Abb. S. 140), ein Bild der
letzten Jahre, miteinander zu vergleichen.

Das Frühwerk, satt und tief in den Tönen,
kann seine innere Beziehung zur Auffassung
der großen alten Niederländer nicht verleug-
nen. Ein weiter Naturausschnitt von barockem
Raumgefühl breitet sich vor uns aus, und der
Himmel mit seinen geballten Wolken nimmt
mehr als die Hälfte der Bildfläche ein. Alles
ist in verhaltener Bewegung: der zerklüftete
Umriß der Bäume, das zitternde Laub, das in
drei Kurven aufgelöste Flußufer, sogar die
Wäsche, die in krausen Wellen auf dem Rasen
bleicht. Keine Stelle im Bilde ist leer; das Auge
wird nicht müde, zu sehen, gleichsam einen
Spaziergang durch die sommerliche Landschaft
zu machen. Die Konturen verschwimmen weich
und malerisch. Der Akzent im Raum, dem sich
das Hauptgewicht des Interesses zuwenden
könnte, ist vermieden oder wenigstens ge-
schickt verborgen.

Wie anders das Kanalbild von 1926! Streng
und fest sind die Formen geworden, wenn auch
ohne Starrheit. Die Pyramide des Aufbaus,
durch die Spiegelung verdoppelt, steht da wie
ein Kristall, dessen feingeschliffene Flächen ein
stilles Spiel von frohen Farben bilden. Die stark
verkürzte Ufermauer weist auf einen imaginä-
ren Punkt, der, zugleich von der Vertikalen
eines hellen hohen Schornsteins berührt, die
glücklichste Stelle des ganzen Aufbaus ist. Be-
wußt und erkennbar sind alle schönen Zufällig-
keiten abgelöst von kluger Erfahrung.

Und dennoch ist es müßig, entscheiden zu
wollen, welches von diesen zwei Bildern das
bessere wäre. Ihre künstlerischen Vorzüge
haben zwar verschiedene Voraussetzungen der
Naturbeobachtung, eine vorwiegend impressio-
nistische dort, eine konzentrierte und verein-
fachte hier, aber der Rang der Leistung hält
sich in beiden Fällen die Waage. Nur im Sinne
des modernen Empfindens bedeutet das Kanal-
bild einen wesentlichen Fortschritt. Bombois
hat seinen eigenen Stil gefunden. Man messe
Einzelheiten, etwa das Gefüge des Blätter-
werks, das so sicher und persönlich wurde,
oder auch die Staffage, die sich von den be-
 
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