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Kämmerer, Christian [Hrsg.]
Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland: Baudenkmale in Niedersachsen (Band 32): Stadt Osnabrück — Braunschweig, 1988

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https://doi.org/10.11588/diglit.44440#0094
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WESTLICHE BEREICHE DER NEUSTADT
Im Westen der Neustadt befand sich seit älte-
rer Zeit ein erheblicher Teil der Grundfläche im
Besitz des Adels, der hier für seine großen An-
wesen den erforderlichen Raum vorfand. Ih-
nen zuzurechnen sind die wenigen, in diesem
Bereich noch erhaltenen Zeugnisse der älte-
ren Geschichte der Neustadt. An der Kom-
menderiestraße am Rand der damals noch
unbebauten Wüste befand sich im Mittelalter
der Hof der Familie von Hake zu Scheventorf,
von dem das ehemalige Hauptgebäude äu-
ßerlich nur wenig verändert bestehen blieb.
(Kommenderiestraße 32). Heute ist es Eck-
haus zur Süsterstraße, die in den zwanziger
Jahren unseres Jahrhunderts über die Kom-
menderiestraße nach Westen verlängert wur-
de. Das ehemalige Wohnwirtschaftsgebäude
aus dem 15. Jh. vermag noch einen gewissen
Aufschluß zu geben über die Gestalt eines im
wesentlichen landwirtschaftlich ausgerichte-
ten spätgotischen Adelshofes in Osnabrück.
Ein äußerst steiles, Speicherraum beherber-
gendes Satteldach überdeckt einen langgezo-
genen, gänzlich schmucklosen eingeschossi-
gen Bruchsteinbau, dessen Dielentor und

zum Teil erhaltene innere Raumaufteilung sei-
ne Verwandtschaft mit dem bäuerlichen
Wohnwirtschaftsgebäude verrät. Das Haus
wurde 1478 in eine Armenstiftung umgewan-
delt, die es noch bis ins 20. Jh. hinein blieb.
Heute ist es Jugendheim.
Angrenzend an das von Hakesche Grund-
stück befand sich weiter südlich die St. Georgs-
kommende der Ritter des Deutschen Ordens.
Der Orden, der gegen 1300 in Osnabrück Fuß
faßte, hatte in der Folgezeit einen nicht unbe-
trächtlichen zusammenhängenden Besitz im
Südwesten der Neustadt erworben. Seine
Baulichkeiten sind verschwunden, geblieben
ist, wenn auch stark entstellt, die kleine Kirche
der St. Georgskommende, die 1725 anstelle
eines mittelalterlichen Kirchenbaus errichtet
wurde. Die ursprünglich freistehende Kirche
war ein anspruchsloser rechteckiger Bruch-
steinbau, der nach Osten hin einen polygona-
len Abschluß besaß und von einem Satteldach
überdeckt wurde. Nach der Aufhebung des
Ordens 1809 wurde der Bau zweckentfrem-
det. Mit der Anlage der Wiesenstraße in den
sechziger Jahren des 19. Jh. erhielt die Kirche
ihre heutige Lage an der Straßenfluchtlinie.
Dem Neubau des Nachbarhauses fiel gegen

Kommenderiestraße 32, Hakenhof, 15. Jh.


Wiesenstraße 1, ehern. Kirche der
St. Georgskommende, 1725



Neuer Graben, ehern. Fürstbischöfliches Schloß, Nordflügel, Hofseite

die Jahrhundertwende der polygonale Ostab-
schluß zum Opfer, während dem Westgiebel
im 20. Jh. ein Treppenhaus angefügt und das
Kircheninnere in zwei Geschosse unterteilt
wurde. Vom Bau der ersten Hälfte des 18. Jh.
haben sich daher kaum mehr als die Außen-
mauern und das schöne Barockportal an der
nördlichen (Hof-)Seite, die ehemals die
Hauptseite war, erhalten (Wiesenstraße 1).
Ehemaliges Fürstbischöfliches Schloß
Unter dem ersten protestantischen Fürst-
bischof Ernst August I. von Braunschweig-
Lüneburg wurde in der zweiten Hälfte des 17.
Jh. die bischöfliche Residenz, die sich in Iburg
befand, wieder nach Osnabrück zurückver-
legt, da das Iburger Schloß für die Ansprüche
der fürstlichen Hofhaltung nicht mehr aus-
reichte. Der Neubau des Residenzschlosses,
für den anfangs ein Standort im Bereich des
heutigen Neumarkts ins Auge gefaßt wurde,
erfolgte schließlich an dem damals nur locker
bebauten Westrand der Stadt auf einem Ge-
lände südlich des Neuen Grabens, das von ei-
ner Anzahl von Adelshöfen in Anspruch ge-
nommen wurde. Die Schloßanlage griff hier in
das bestehende mittelalterliche Straßen-
system der Neustadt ein und überlagerte ei-
nen Abschnitt der heutigen Seminarstraße,
die einst bis zu der an der westlichen Stadt-
mauer gelegenen Martinspforte verlief.
Mit dem Bau der Vierflügelanlage des Schlos-
ses wurde 1667 begonnen. Das Hauptgebäu-
de war 1673 bezugsfertig, die Fertigstellung
der Flügelbauten, von denen der östliche u.a.
die Küche, der westliche den Marstall enthielt,
zog sich dagegen noch über längere Zeit hin.
Nicht gesichert ist die Urheberschaft des Ent-
wurfs, der Philippo Carato zugewiesen wird.
Ab 1670 lag die Bauleitung in den Händen des
Grafen Nicolao de Montalbano, eines Kava-
liersarchitekten, unter dem in der Hauptsache
italienische Handwerker und Künstler am Bau
beschäftigt wurden.
Für die Zeit fortschrittlich und wohl in erster Li-
nie französischen Anregungen zu verdanken
ist die Gesamtdisposition der Schloßanlage,
deren gegen den Neuen Graben und Altstadt
ausgerichteten Baulichkeiten einen weiten
querrechteckigen Ehrenhof umschließen
(Neuer Graben 29/31). Auf der Südseite befin-
det sich das 17 Achsen breite corps de logis,
ein von einem hohen Walmdach überdeckter
dreieinhalbgeschossiger Bau, der an die nied-
rigeren, nur zweigeschossigen Seitenflügel
über Durchfahrten angebunden ist. Die Nord-
seite des Hofes zum Neuen Graben hin
schließt ein schmaler, langgezogener Flügel
mit einer architektonisch hervorgehobenen
dreiteiligen Durchfahrt in der Mittelachse ab,
über der ursprünglich ein Torturm geplant war;
sie erhielt ihre endgültige Form 1771 durch ei-
nen Umbau Landbaumeister Franz Schaed-
lers. Gestalterisch schließt sich das große
Hauptgebäude mit den Flügelbauten durch
einheitliche Fassaden zusammen. In ihren
Einzelformen, den Rahmungen und reichge-
stalteten, schweren Giebelverdachungen der
Fenster zeigen sie den Einfluß der italieni-
schen Palastarchitektur des Frühbarock, der
auch in der Fassadenanordnung des corps de
logis deutlich hervortritt. Bemerkenswert ist

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