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Kämmerer, Christian [Editor]
Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland: Baudenkmale in Niedersachsen (Band 32): Stadt Osnabrück — Braunschweig, 1988

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https://doi.org/10.11588/diglit.44440#0120
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ENTWICKLUNG DES VILLENVIERTELS
NACH 1900 (LÜRMANN-, BERG- UND
WIELANDSTRASSE)
Seinen Rang als vornehmstes Villenviertel der
Stadt gewann die Bergstraßenregion mit der
Anlage der Lürmannstraße auf dem Osthang
des Berges zu Beginn des 20. Jh. Die Straße,
die an der reformierten Kirche von der Berg-
straße abzweigt, knickt in ihrem nördlichen
Verlauf zweimal etwa im rechten Winkel um
und kreuzt dabei die Bergstraße in der Höhe
der ehemaligen Lohmühle. Durch den mehr-
fach geknickten Straßenverlauf wurde das
Gartengebiet auf dem Westerberg oberhalb
der Hohen Mauer zur Bebauung erschlossen.
Das durch seine schöne Hanglage über der
Stadt ausgezeichnete Gelände entwickelte
sich gemeinsam mit der Bergstraße seit der
Jahrhundertwende zu einer der begehrtesten
Wohnlagen Osnabrücks. Auf zum Teil be-
trächtlich großen Parkgrundstücken befanden
sich hier die Villen der reichsten Osnabrücker
Fabrikanten- und Kaufmannsfamilien. Die be-
deutendsten Villenbauten existieren heute
nicht mehr und der Charakter des Viertels hat
sich durch Kriegszerstörungen und Neubau-

Wielandstraße 15,1912, Architekt C. Kriege


ten verändert. Von der ursprünglichen groß-
bürgerlichen Bebauung können nur noch we-
nige größere Häuser aus der Zeit vor dem Er-
sten Weltkrieg Zeugnis ablegen, die prägen-
den Einfluß auf die städtebauliche Situation
am Westerberghang haben.
Durch seine stattlichen Proportionen und ein
hohes, die Erscheinung des Hauses maßgeb-
lich bestimmendes Mansarddach zeichnet
sich Lürmannstraße 28 aus, ein sonst eher
schmuckloser herrschaftlicher Villenbau von
1911 (Architekt Camillo Friedrich, Köln). Ähn-
lich großzügigen Zuschnitt zeigt die im selben
Jahr erbaute Villa Lürmannstraße 33 auf der
gegenüberliegenden Straßenseite (Architekt
Gustav Majewski, Dachzone verändert). Zu
den besonders aufwendig gestalteten und
ausgestatteten Häusern des Viertels gehört
auch die Villa des Regierungsrats Roer am
Nordende der Lürmannstraße (Nr. 57, 1913,
Architekten Jansen & Meeussen, Bremen,
Dachzone verändert). Das Haus dokumentiert
mit seiner äußeren Formgebung die auf den
Jugendstil folgende Phase einer klassizisti-
schen Rückbesinnung, die sich in ihrer künst-
lerischen Haltung vorzugsweise der Baukunst
des ausgehenden 18. Jh., des Spätbarock


und Frühklassizismus verpflichtet fühlt. Mit
der allgemein klassizistischen Formenspra-
che seines Äußeren, einer eleganten Grund-
rißdisposition und der sehr reichen Innenaus-
stattung (Wandverkleidungen, Kamine, Ein-
bauschränke, Parkettböden u.a.), kann das
Haus beispielhaft stehen für den Typus der re-
präsentativen herrschaftlichen Villa der aus-
gehenden Kaiserzeit.
Südlich der Bergstraße wurde gegen 1910 die
Wielandstraße angelegt, die, von der Lotter
Straße abzweigend, den Hang des Wester-
berges hinaufführt. Hier entstand zu Beginn
des Ersten Weltkrieges die Villa Wielandstra-
ße 5 mit gutgegliederter Putzfassade des Neo-
klassizismus, ein Haus, das grundsätzlich in
seinem Aufbau (vier Achsen, zwei Geschos-
se, Walmdach) dem älteren Typus des gutbür-
gerlichen Osnabrücker Vorstadthauses folgt
(1914, Maurermeister Wächter). Einen ganz
entgegengesetzten Charakter besitzt die im
englischen Landhausstil erbaute Bankdirekto-
ren-Villa Wielandstraße 15, deren kräftig rusti-
zierter Bruchsteinsockel und hohe schiefer-
gedeckte Dachzone die Erscheinung des
Hauses bestimmt (1912, Architekt Kriege).
Nach dem Ersten Weltkrieg setzte sich die
Entwicklung des Villenviertels fort durch eine
Anzahl größerer Häuser an der Bergstraße,
die die letzte Phase des herrschaftlichen Vil-
lenbaus in Osnabrück dokumentieren. Die
Bergstraße hatte auch zu dieser Zeit noch in
größeren Abschnitten ihre alte Gestalt als un-
ausgebauter Feld- und Gartenweg bewahrt.
An ihm befanden sich die zwei Holländer-
Windmühlen des Westerbergs, die in der er-
sten Hälfte des 19. Jh. entstanden waren (vgl.
S. 113). Zur Errichtung der südlichen, einer
Graupenmühle, wurde 1814 die Konzession
erteilt. Bereits in der zweiten Jahrhunderthälf-
te war die Mühle nicht mehr betrieben und der
Mühlenstumpf in ein Wohngebäude integriert.
Heute ist er in einen Villenbau der Nachkriegs-
zeit einbezogen (erbaut 1951, Bergstraße 36).
Benachbart befindet sich, wenn auch in verän-
derter Gestalt, das zum ehemaligen Mühlen-
anwesen gehörige Dreschhaus, ein Bruch-
steinbau der ersten Hälfte des 19. Jh., der sei-
nen Südgiebel mit Einfahrt der Mühle zuwen-
det. Als zu Anfang des 20. Jh. eine größere
Zahl neuer Villen um Berg- und Lürmannstra-
ße gebaut wurden, übernahm man das alte
Dreschhaus für den Neubau einer herrschaft-
lichen Villa, wobei die Substanz des alten Ge-
bäudes sorgsam erhalten wurde. Unter mög-
lichster Wahrung seiner Gestalt wurde das
Haus um ein Geschoß aufgestockt und erhielt
auf der Ostseite zum Garten hin eine reprä-
sentative Ausgestaltung in der Form eines
klassizistisch geprägten Herrenhauses, an
dessen Front ein Mittelrisalit mit Dreiecksgie-
bel und vorgelagertem, von vier dorischen
Säulen getragenen Balkonvorbau dominieren
(Nr. 42,1922, Architekt Wilhelm Nietmann).
Weiter nördlich an der Bergstraße befand sich
die Lohmühle des Lohgerberamts. Ähnlich,
wie die Graupenmühle, gestaltete man auch
diese Windmühle 1922 zum dominierenden
Bauteil eines Wohnhauses um. Der Architekt
Nietmann, der beim gleichzeitigen Umbau von
Bergstraße 42 bewußt ein bauliches Zeugnis
aus dem älteren Zustand des Westerberges

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