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Ephron, Walter; Strzygowski, Josef <Prof. Dr.>; Bosch, Hieronymus [Hrsg.]
Hieronymus Bosch - Zwei Kreuztragungen: eine "planmässige Wesensuntersuchung" — Zürich, Leipzig, Wien, 1931

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https://doi.org/10.11588/diglit.29309#0012
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vorübergezogen sind und nun Christus folgt. Ein Mann, in ein gewundenes
Horn stoßend, trennt die beiden Teile; er fehltin dem Übereinanderbild ebenso
wie die Landschaft mit dem Stadttore. Wenn man für die Entstehung des
Übereinanderbildes einen begreiflichen Grund angeben wollte, so wäre es zu-
nächst doch wohl der, daß dem Besteller oder einem Späteren die Gestalt
Christi unter dem Kreuz in dem Nebeneinander zu nebensächlich behandelt
erschien und durch das Übereinander versucht wurde, Christus zur beherr-
schenden Hauptgestalt zu machen. Dieser Forderung mußte die Landschaft
vor dem Stadttore und Golgatha weichen. Wie immer ich also auch in die
Fragestellung eindringen will, muß ich von dem Breitbild als gegeben aus-
gehen und daraus erst das Hochbild ableiten.

So weit habe ich ganz unwillkürlich Eingang in die Frage des Verhält-
nisses der beiden Bilder zueinander zu flnden gesucht. Jetzt erst frage ich,
ob nicht doch das Übereinander dagewesen sein kann, bevor das Nebenein-
ander entstand. Nichts als Bedenken antworten auf diese Frage. Man gehe
z. B. von den drei Kreuzen des Breitbildes aus; das eine steht aufgerichtet
da, Einzelne der Zuschauerwand blicken dazu empor. Wo ist es im Über-
einander geblieben? Was ist daraus geworden! Und nun gar das zweite Kreuz,
das zum zweiten Schächer gehört; es sieht so aus, als hätte es auch im
Hochbilde einst vorn, wo die Mantelfalte dadurch gehoben wird, gelegen; erst
als der Maler das Bild unten durch die Schattenanordnung abrunden wollte,
scheint es im Hochbild übermalt worden zu sein. Es lag ursprünglich auf
dem Boden wie im Nebeneinander. Das dritte Kreuz schleppt Christus eben
heran und man fragt umsomehr, wo das zweite Kreuz geblieben sei. Wenn
also im Nebeneinander gegenständliche Einheit und Klarheit herrscht, so wird
dagegen im Übereinander Stückwerk vorgesetzt. Auch erscheint es ausge-
schlossen, daß gerade diese verstümmelte Wiedergabe die erste Fassung ge-
wesen sein soll und die Ungereimtheiten etwa der Ausgangspunkt der Wieder-
holung wären. Dagegen dürfte der Grund, der oben für das Übereinander
angegeben wurde, die würdige Heraushebung Christi, einleuchten.

Es ist kaum nötig anzunehmen, daß zwischen den beiden Bildern ein Drittes,
etwa eine Handzeichnung, vermittelt. Als solche könnte man sich nur Einzel-
studien zu den drei Gruppen, die der beiden Schächer vor allem und Christi
denken. Diese sind in beiden erhaltenen Bildern etwas äußerlich zusammen-
geschoben. Jede der drei Gruppen würde als seelische Einheit ein Bild für
sich vertragen. Und die Art, wie im Breitbilde in der Mitte hinter Longinus
die Hauptgruppe in scharfer Bewegung auf die Nebengruppen stößt und man
nicht recht versteht, wie sie nun plötzlich die Schwenkung nach rückwärts,
den Hügel empor, vollziehen soll, ist eine kennzeichnende Gewalttätigkeit des

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