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Ephron, Walter; Strzygowski, Josef <Prof. Dr.>; Bosch, Hieronymus [Hrsg.]
Hieronymus Bosch - Zwei Kreuztragungen: eine "planmässige Wesensuntersuchung" — Zürich, Leipzig, Wien, 1931

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https://doi.org/10.11588/diglit.29309#0066
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Einführung in die Frage der Gestalt

Man ist nicht gewohnt die Erscheinung in der bildenden Kunst unter zwei
verschiedenen Gesichtspunkten, dem der sachlichen Gebundenheit und dem
der persönlichen Freineit, zu betrachten. Die zwei wesentlich verschiedenen
Begriife, die aus voriger Unterscheidung abgeleitet werden und die nach
freier Wahl des Schöpfers des Verfahrens den Namen „Gestalt“ und „Form“
erhalten haben — diese beiden Begriffe wurden bisher in der Kunstwissen-
schaft nicht genügend auseinandergehalten. Nicht, daß man die Worte Gestalt
und Form als Synonyma gebrauchte, gegen welche Praxis auf Grund des
Sprachwertes nicht viel einzuwenden wäre — sondern die Verschiedenheit
der beiden Begriffe, ganz unabhängig von den Worten, mit denen Strzygowski
sie bezeichnet, wird den wenigsten Kunstforschern bewußt. Nur zu oft
werden selbst in streng kunstwissenschaftlichen Untersuchungen alle Begriffe
durcheinandergebracht, in einem Satz werden Urteile über die verschiedensten
Wesenswerte ausgesprochen und so der Leser statt unterrichtet — verwirrt.
Das ist die eigentliche „dunkle Weise“, die Friedländer tadelt, dieses
Herumreden über Kunst, das Jonglieren mit Meinungen ohne die innere
Absicht, klar, eindeutig und übersichtlich darüber Auskunft zu geben, von
dem, was man über die Kunst — gesichert weiß. Am störendsten wirkt die
veraltete impressionistische Methode der Kunstbetrachtung auf dem Gebiete
von Gestalt und Form. Da uns die bildende Kunst vor allem doch nur durch
ihre Erscheinung zugänglich ist und ihre inneren Werte nur über das Auge
in unsere Erkenntnis übergeleitet werden können, bedarf es eines genauen
sachlichen und fachlichen Verfahrens um die verschiedenen Absichten, die
der Künstler durch die Erscheinung zum Ausdruck bringt, verstehen zu lernen.

Die Erscheinung dient vor allem dazu, den Gegenstand durch Anschau-
lichkeit allgemein verständlich zu machen. In diesem Falle ist die Erschei-
nung an die Bedeutung des Gegenstandes gebunden. Diese sachlich gebundene
Erscheinung wird im Wesensplan „Gestalt“ genannt. Der Begriff der sachlich
gebundenen Erscheinung in der bildenden Kunst umfaßt mehr als das für ihn
gewählte Wort „Gestalt“ in der Umgangsprache beinhaltet. Da aber der
Begriff doch nur aus einer Konstruktion entstand, gibt es kein eigenes Wort,
das ihm seit jeher zugeordnet ist. So wurde eben das Wort „Gestalt“ gewählt,
weil es noch am ehesten das Wesentliche des Begriffes ausdrückt. Alle
Schlagworte, die den verschiedenen neuartigen Begriffen des Verfahrens bei-
geordnet wurden, trachten wenigstens dem hauptsächlichsten Teil der viei-
umfassenden Begriffe mit dem gewählten Wort zu entsprechen. Zur vollen

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