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Ephron, Walter; Strzygowski, Josef <Prof. Dr.>; Bosch, Hieronymus [Hrsg.]
Hieronymus Bosch - Zwei Kreuztragungen: eine "planmässige Wesensuntersuchung" — Zürich, Leipzig, Wien, 1931

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https://doi.org/10.11588/diglit.29309#0123
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Inhalt in Bezug auf Form

Wir fanden am Weinb.-Bild, dem auf Grund seiner reichen Formwerte hier
in der Inhaltsuntersuchung die größere Beachtung zugewendet werden muß,
einen wohl abgewogenen Aufbau der figuralen Massen im Vordergmnd. Wir
sahen, wie der Künstler mit formalen Mitteln eine Bühne schuf, die durch
formale Auswertung von Turm und Kreuz, Gestrüpp und Leiter, Ast und
Kreuzarm in symmetrischer Weise ein theatermäßiges Proszenium erhielt. Auf
dieser Bühne wird die Szene in zwei Gruppen, einer bewegten und einer
ruhenden, entwickelt und der kurze Raum durch ein formal raffiniert ange-
legtes System von Auflockerung und schwacher Verkleinerung der Figuren
ungemein in die Breite gedehnt. Es ist, durchschaut man erst einmal die
verschiedenen formalen Elemente, bewundernswert, welche verblüffende und
starke Wirkung durch den formalen Aufbau hervorgerufen wird.

Ein tief grübelnder, mit der Materie ringender Künstler muß der Schöpfer
dieser Form gewesen sein. Er macht es sich keineswegs leicht. Eine über-
quellende gegenständliche und gestaltliche Phantasie drängt ihn Vieles und
eigenartig Bedeutsames zu zeigen. Ein anderer Künstler hätte zu Gunsten
der klaren Übersicht manches unterlassen, oder, wenn er auf die Vielfalt
versessen gewesen wäre, einen ungeordneten Wust von Dingen niedergelegt,
wie man so etwas öfter auf schwachen unkünstlerischen gotischen Tafeln
findet, wo das Chaos von Menschen und Dingen kaum zu entwirren ist. Der
Künstler des Weinb.-Bildes war auch ein solcher, von der Vielfalt der Dinge
Besessener. Aber er kannte die Gefahr der Fülle und fand, wohl geübt in
ihrer Bändigung, dieForm, um all das Vieldeutige und Vielgestaltige zu ein-
drucksvoller Wirkung zu vereinen.

Sucht man unter den möglichen Meistern dieser Zeit und Gegend noch
einen Künstler, der in gleicher Form sein Werk komponierte, dann wird Bosch
der Einzige sein, den man in dieser Eigenschaft kennt. Die meisten seiner
gesicherten Werke sind mit einer überquellenden Fülle von Personen und
Dingen ausgestattet. Überall finden wir in allen Ecken und Enden symbo-
lische Andeutungen über die Beziehungen der Darstellung. Und überall auch
finden wir, daß der große Reichtum in ähnlich vielfältiger Durchdachtheit
formal gegliedert wird. Es würde zu weit führen, wollte man hier zum Bei-
spiel die formale Gliederung des „Heuwagen“ oder des tausendfigurigen „Gar-
ten der irdischen Lüfte“ aufzeigen.

Baldaß erwähnt in der „Chronologie der Gemälde des Hier. Bosch“, S. 188,
ein bühnenmäßiges Element im „Garten der Lüfte“: „Wie beim großen Epi-

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