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Ephron, Walter; Strzygowski, Josef <Prof. Dr.>; Bosch, Hieronymus [Hrsg.]
Hieronymus Bosch - Zwei Kreuztragungen: eine "planmässige Wesensuntersuchung" — Zürich, Leipzig, Wien, 1931

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https://doi.org/10.11588/diglit.29309#0112
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Inhalt in Bezug auf Gegenstand (Zweck, Besteller)

Sowohl bezüglich des Weinb.-Bildes als auch des Mus.-Bildes fehlt uns jeder
Hinweis auf einen Besteller. Für das Mus.-Bild wäre ein Besteller, der un-
geistig auf seinen Willen beharrend den Gewaltakt der Zerstückelung zu ver-
antworten hätte, direkt eine Ehrenrettung des Kopisten. Aus der Art, wie dieser
den Gegenstand der Kreuztragung durch Auslassung der vielen feineren Symbole,
wie Weinstock und dürrer Ast, Knochen und Salamander, Speer des Longinus
um seine intimen Bedeutungswerte brachte, kann man schließen, daß er nicht
zur näheren Umgebung des Meisters gehört haben kann. Denn als Schüler
oder Werkstattgenosse hätte er wohl kaum das Bild so roh beschnitten, sondern
es sorgfältiger der geforderten Tafelgröße angeglichen und hätte auch sicherlich
trotz des geänderten Formates eine Möglichkeit gefunden die erwähnten Sinn-
bilder wieder zu verwenden. Daß er dies unterließ, läßt ihn als einen Maler
erkennen, der mit Bosch und seiner Werkstatt direkt nichts zu tun hatte. Un-
abhängig davon wird die Kopie schon auf Grund von Material und Technik
und Erhaltungszustand nicht lange nach der Entstehungszeit des Weinb.-Bildes
anzusetzen sein.

Am Weinb.-Bild fällt die Vielfalt der in der gegenständlichen Untersuchung
gefundenen Bedeutungswerte auf. Den Künstler, der aus dem durch und durch
gedeuteten Text der Evangelien ein so reiches malerisches Abbild heraus-
ziehen konnte, müssen wir uns als selbständigen klügelnden Kopf vorstellen.
Die starke Bevorzugung des Evangelium Lukas gegenüber den anderen Evan-
gelien liegt einerseits in der größeren Ausführlichkeit, mit der dort die Kreuz-
tragung geschildert wird, begründet, andererseits muß man bedenken, daß alle
holländischen Maler in Lukasgilden organisiert waren, wodurch sie sich schon
verpflichtet fühlten, diesem Evangelisten vor allem zu folgen. (Vergleiche die
verschiedenen Bilder, auf denen der hlg. Lukas die Maria malt). Aber nicht
nur eine große Bibelfestigkeit verrät der Gegenstand dieses Bildes, auch die
öfter verwendeten volkstümlichen Symbole zeigten uns, daß dem Maler neben
der durchgeistigten Auslegung der Evangelien die Kenntnis der Volksseele
wohl bewußt war. Aus dem Apotropeion, in das er statt des Medusenhauptes
die beziehungsvolle volkstümliche Kröte setzt, ersehen wir, daß zwar eine
gewisse Kenntnis der antiken Welt dem Künstler nicht fremd war, daß er aber
das humanistische Bildungsgut im Sinne volkhafter Einfühlung gerne ver-
nachlässigte. Eine weitumfassende Kenntnis aller im Volke lebenden Über-
lieferungen und Gefühlsströmungen kennzeichnet den Autor als einen Künstler,
der seinen Gegenstand nicht im allgemeinen Sinne seiner stark unter dem

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