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Ephron, Walter; Strzygowski, Josef <Prof. Dr.>; Bosch, Hieronymus [Hrsg.]
Hieronymus Bosch - Zwei Kreuztragungen: eine "planmässige Wesensuntersuchung" — Zürich, Leipzig, Wien, 1931

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https://doi.org/10.11588/diglit.29309#0020
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Spuren vor, die für eine Umarbeitung des ersten Entwurfes sprechen. Sie kamen
bei der Röntgenaufnahme zu Tage darin, daß unter dem Turm unten deutlich
in unmittelbarem Anschluß an die Gruppe von Christus und Simon von Kyrene
eine kniende Gestalt hervortrat, also wohl eine ursprünglich beabsichtigte Maria
oder Veronika, die später durch den Turm zugedeckt wurde. Es scheinen rein
künstlerische Überlegungen gewesen zu sein, die zur Änderung führten, etwa
ein Seitenblick auf Dürer oder im Bilde selbst die Überlegung, daß Golgatha
und dem Kreuz rechts gegenüber ein entsprechender Abschluß links erwünscht
wäre, dann aber auch die Absicht, den Vorstoß der Christusgruppe kräftiger
zur Geltung zu bringen. Das spricht für den schöpferischen Afeister selbst ebenso
wie die Anbringung der Sinnbilder Weinstock und Vogel auf Zweig an diesem
Turme. Man hätte sonst daran denken können, daß auch die Weinberger-
Fassung nur Kopie sei, vielleicht nach einem Urbilde der Kreuztragung, die
nach van Vaernewyck in den Bilderstürmen in der Pharailde-Kirche zu Gent
vernichtet wurde. Entscheidend ist natürlich der unmittelbare Vergleich des
Breitbildes mit den gesicherten Werken des H. Bosch, eine Aufgabe, die ich
nicht durchführen kann, weil dazu weitausgreifendere Arbeiten notwendig
wären. Näher liegend scheint mir, daß man das Weinberger Bild mit sicheren
Werken des Meisters zusammenbringt, eine Aufgabe, die das Wiener Kunst-
historische Museum durchführen könnte,nachdem einmal Zweifel an derEchtheit
seines Besitzes laut geworden sind. Eine solche Gegenüberstellung der beiden
Fassungen mit sicheren Werken des Bosch könnte ein Ereignis für Wien
werden, das die Museumsleitung zu veranstalten nicht versäumen sollte. Im
Übrigen versucht W. Ephron die Frage der Eigenhändigkeit auf Grund der
Wesensuntersuchung zu klären.

II. Der Beurteiler

Wir haben sachlich einen Einzelfall herausgegriffen, ein Bild des H. Bosch.
Ich gehe auf den dafür verantwortlich in Betracht kommenden Beurteiler nicht
weiter ein. Das wäre eben Aufgabe einer aus Fachmännern zusammengesetzten
Kammer. Viel bösartiger liegt die Sache, wenn nicht Werke der Bildenden
Kunst, sondern Gelehrte selbst bei der Beurteilung den unmittelbaren Aus-
gangspunkt bilden. Das aber ist der Fall in den Gutachten, die unter dem
Siegel amtlicher Verschwiegenheit an den Hochschulen bei Berufungen abge-
geben werden. Die Urteile betreffen dann nicht eine tote Sache der Vergan-
genheit, sondern das Leben der Gegenwart selbst und können verheerend
wirken insbesonders dann, wenn es sich um Habilitationen handelt und die

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