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Ephron, Walter; Strzygowski, Josef <Prof. Dr.>; Bosch, Hieronymus [Hrsg.]
Hieronymus Bosch - Zwei Kreuztragungen: eine "planmässige Wesensuntersuchung" — Zürich, Leipzig, Wien, 1931

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https://doi.org/10.11588/diglit.29309#0087
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Einführung in die Frage der Form

Es wurden bisher, nach Rohstoff und Werk, zwei geistige Wesenswerte, Gegen-
stand und Gestalt, planmäßig bearbeitet. Diese beiden geistigen Werte wurden
unter dem Gesichtspunkt der sachlichen Gebundenheit aus den einheitlichen
Kunstwerken herausgehoben und einer gesonderten Betrachtung unterzogen. Der
Gegenstand (Sujet) und die verschiedenen Gestalten, mit denen der Künstler die
Bedeutung zur sinnfälligen Erscheinung bringt, sind die äußerlichen Wesens-
merkmale jedes Kunstwerkes. Durch sie ist der Künstler sachlich gebunden. Eine
Kreuztragung, die er malen will, muß eine Kreuztragung darstellen und nicht
etwas anderes und die menschlichen, landschaftlichen und architektonischen Ge-
stalten müssen so gemalt sein, daß sie als das, was sie vorstellen sollen, auch ver-
standen werden können. Es sind die sachlichen Bindungen der Kunstwerke.

Darüber hinaus erstrebt aber der Künstler sein eigenes Wesen, sein Denken und
Fühlen, seine persönliche freie Einstellung zu den Dingen, kurz sein Künstlertum
zum Ausdruck zu bringen.

Er wird die Erscheinung in seinem Sinne aufbauen, er wird die Massen nach
seinen künstlerischen Absichten gliedern und gruppieren, den Raum künstlerisch
steigern und verändern, wird Licht und Schatten, Ton und Farbe sinnvoll anordnen
um damit Wirkungen zu erzielen. Dieser frei künstlerische,kompositionelle Aufbau
der Erscheinung hat nichts mit den Gestalten, die hier nur Mittel zum Zweck sind,
zu tun. Er bildet den geistigen Wert der Erscheinung und wird im
Verfahren „Form“ genannt.

„Form ist im Gegensatz zu allem sachlich Gebundenen von Gegenstand und
Gestalt, die auf den Schein losgehen und uns etwas vortäuschen, künstlerische
Wirklichkeit und hat nichts zu tun mit Natur und Naturgesetzen.“ (Strzygowski
„Krisis der Geisteswissenschaften“).

Die Form äußert sich vor allem in der Anordnung der Dinge, in der Komposition.
Die einzelnen Werte der Form nennt Strzygowski: Die Masse mit den Unterab-
teilungen: Punkt, Linie, Fläche und Block. Dann die „Raumwirkung“, jenes Ele-
ment, das den Verfechtern der Form, den „Formalisten“, als Wichtigstes erscheint.
Überdies sind auch noch der künstlerisch freie „Ton“ und die nach inneren Mo-
tiven frei gewählte „Farbe“ (wie z. B. eine unabhängig von der Lokalfarbe gewählte
Komplementärfarbe) Erscheinungswerte, die unter „Form“ verstanden werden.

Form ist immer ein Zeichen der persönlichen Freiheit des Künstlers. Alle ande-
ren Wesenswerte können dem Künstler durch die Macht der Umwelt, durch den
Besteller oder die Gewohnheit der Zeit, aufgedrängt werden. Die „Form“ kann
niemand dem Künstler vorschreiben. Sie wird bis zu einem gewissen Grad

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