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Ephron, Walter; Strzygowski, Josef <Prof. Dr.>; Bosch, Hieronymus [Hrsg.]
Hieronymus Bosch - Zwei Kreuztragungen: eine "planmässige Wesensuntersuchung" — Zürich, Leipzig, Wien, 1931

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https://doi.org/10.11588/diglit.29309#0051
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Nachdem er erwähnt, daß die Passionsspiele im XV. Jhdt. sich im Norden
verbreiteten, heißt es weiter: „Für die deutschen und niederländischen Künstler
sind es die auf der Bühne geschauten Aufzüge gewesen, die sie inspirierten,
den Leidensweg in Form einer langen Prozession darzustellen.“ In dieser Art
finden wir auch die Kreuztragung auf dem Weinb.-Bild.

Die Szene ist aus dem Evangelium Matthias XXVII. 32, 33, aus Ev. Marc.
XV, 21, 22, aus Ev. Lucas XXIII, 31, 32, 33, und Ev. Johannes XIX, 17,
entnommen, doch findet man, daß der Maler auch andere Stellen der Evan-
gelien direkt oder sinnbildlich (symbolisch) mitverwendete. Die Kenntnis der
Evangelien war in jener Zeit allgemein verbreitet und wir können sicherlich
annehmen, daß der Maler mit großer Gewissenhaftigkeit sein Thema studierte,
da er gerade nach dieser Hinsicht bei Hoch und Nieder mit einem sachver-
ständigen Publikum rechnen mußte. Die Untersuchung dieser Kreuztragung
zeigt auch, in welch außerordentlich hohem Grad sich der Künstler in seinen
Gegenstand einlebte und wie schriftgetreu und sinnbildlich beziehungsreich
er es auf Grund seiner religiösen und anderen Kenntnisse aufbaute. Am stärksten
hielt er sich noch an das Ev. Lucas. Dort heißt es Kap. XXIII, 26: Und als
sie ihn hinführten, ergriffen sie einen Simon von Cyrene, der kam vom Felde,
und legten das Kreuz auf ihn, daß er es Jesu nachtrüge. 27: Es folgte ihm
ein großer Haufe Volks und Weiber, die klagten und beweinten ihn. 28, 29,
30, tröstet Christus die Weinenden und endet mit einem symbolischen Spruch
31: Denn so man das tut am grünen Holz, was will am dürren werden?
32: Es wurden aber hinzugeführt zwei andere Übeltäter, daß sie mit ihm
abgetan würden. 33. Und als sie kamen an die Schädelstätte, kreuzigten sie
ihn daselbst und die Übeltäter mit ihm, einen zur Rechten und einen zur
Linken.

In starker Anlehnung an diese Stelle und an die gleichen Stellen in den
anderen Evangelien sehen wir den Gegenstand am Weinb.-Bild aufgefaßt. Aus
dem Stadttor von Jerusalem zieht Christus umgeben von einer dichtgedrängten
Menge gegen Golgotha. Das Hervorkommen des Zuges aus einem Tor mit
Turm darüber ist die übliche Darstellungsart in der niederländischen Malerei
des 15. und 16. Jahrhunderts.

Einige Personen im Zuge erweisen sich als deutbar. Gleich der zweite Kopf
mit Krone zeigt uns den Landpfleger Pontius Pilatus. Vor ihm ein Mann in
einem mit roten Lilien geschmückten gelben Kleid, am Kopf einen burgun-
dischen Hut mit herunterhängender Zaddel. Der erhobene Arm im Armzeug
mit Scheibe gepanzert. Vermutlich ein Begleiter, vielleicht der Hofnarr des
Pilatus. Hinter Christus ein Mann mit Eisenhandschuh, der einen Streitkolben
schultert — wahrscheinlich, da hier der Streitkolben in der Funktion eines

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