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Ephron, Walter; Strzygowski, Josef <Prof. Dr.>; Bosch, Hieronymus [Hrsg.]
Hieronymus Bosch - Zwei Kreuztragungen: eine "planmässige Wesensuntersuchung" — Zürich, Leipzig, Wien, 1931

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https://doi.org/10.11588/diglit.29309#0115
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immer mit dem Volksgeist verbunden war, seine erzählende malerische Kunst.
Von leichter Ironie bis zum grausamen Spott reicht die Skala seiner geist-
reichen Zeitsatire. Es ist Volkswitz und Volksspott, wenn er z. B.'den die
Beichte abnehmenden Franziskaner mit einer versoffenen Nase versieht oder
wenn er dem mitagierenden Volk die niedrigsten Instinkte in die von allen
Lastern erzählenden Gesichter zeichnet. Da ist Bosch ein ganz Eigener, der
aus sich heraus eine neue Welt, die gemeine Wirklichkeit mit allen ihren
menschlichen und obrigkeitlichen Unzulänglichkeiten zum würdigen Gegen-
stand der Kunst erobert. Seit Bosch gibt es in den Niederlanden, trotz hoher
Ideale und eklektischen Kunstströmungen, wieder eine volkstümliche Malerei.
Und die späteren Repräsentanten der Sittenmalerei, Breughel, Teniers, Ostade,
Brouwer, sind ohne den Erwecker des „Genre“ — Bosch — nicht zu denken.

Wir werden im Folgenden sehen, daß dieser neue Zug zur ungeschminkten
Wahrheit nicht beim Gegenständlichen, wo er am deutlichsten wahrnehmbar
ist, haltmacht, sondern daß auch Gestalt und Form das gleiche realistische
Bestreben des Künstlers aufweisen. Wenn wir finden, daß Bosch auch als
Landschafter die künstlerisch erlebte Wirklichkeit und nicht ein überliefertes
Schema zu malen unternimmt, dann zeigt dies, daß Bosch im Gegensatz zu
seinen Vorgängern bewußt neue Wege sucht und findet, die er zu seinen
Lebzeiten wohl als Einzelgänger geht, die sich aber bald als die richtigen
Wege in die Zukunft erweisen.

Auf Grund solcher Überlegungen lassen sich die vielfältigen gegenständ-
lichen Bedeutungen, die wir am Weinb.-Bild fanden und die uns Einblick in
das geistige Wesen seines Erfinders gestatten, mit dem uns bekannten Künstler-
geist Bosch’s in Einklang bringen. Es ist derselbe phantastische Geist, der
im Zusammenhang mit dem letzten Aufflackern des gotischen Gefühls, über-
quellenden Reichtum der Ideen, durch überwuchernde Gestalten und ausdrucks-
starke Formen zu einem innerlich belebten, höchst erregten Kunstwerk zu
vereinen verstand. Und es ist auch derselbe scharfzüngige Zeitkritiker, der
sich die ursprüngliche naive Einstellung des Volkes zu eigen macht.

Es offenbart sich aus dem geistigen Wert „Gegenstand“ ein Künstlerinhalt,
der ohne Zweifel als einer der Bestandteile Bosch’schen Geistes angesehen
werden muß.

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