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Gailhabaud, Jules; Kugler, Franz [Hrsg.]
Jules Gailhabaud's Denkmäler der Baukunst (Band 3): Denkmäler des Mittelalters, sechste Abtheilung — 1852

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https://doi.org/10.11588/diglit.3503#0052
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Der Münster von Freiburg im Breisgau.

Thurmanlage vorgebildet war, beweist vornehmlich der Uebergang des einen Theiles in den andern. Es
liegt im Wesen der gothischen (und besonders der deutsch - gotbischen) Architektur, dass alle Theile im un-
mittelbaren Zusammenbange miteinander stehen, dass jeder spätere, jeder höher emporsteigende Theil in
dem früheren, tiefer gelegenen seine Vorbereitung findet und dass solcher Gestalt das Ganze von einer
stetig fortschreitenden Entwickelung durchdrungen ist. Ein näherer Blick auf den Entwurf für den Thurm-
bau des Kölner Domes giebt hierüber den genügendsten Aufschluss. In dem Thurme des Freiburger
Münsters aber hat der Untertheil Nichts, was als eine Vorbereitung auf die Hauptformen des Obertheiles
hindeuten könnte, Nichts, was die Erscheinung der letzteren mit Notwendigkeit bedingte. Ja, — ob auch
leise verdeckt und somit für den Totaleindruck nicht geradezu störend, so brechen doch die Hauptformen
des Untertheiles fast roh ab, und es bildet sich, im Widerspruch gegen das Grundprincip des gothischen
Styles, ein scharfer Abschnitt zwischen beiden Theilen, der durch die Gallerie am Fusse des Obertheiles
nur um so entschiedener hervorgehoben wird. Doch ist bei alledem ein äusserst glückliches Massen-
verhältniss zwischen den beiden Theilen des Thurmes beobachtet worden. Die obere Hälfte, in mächtiger
Fülle emporragend (stärker, höher und imposanter, als es auf unsrer Ansicht scheint, wo die ganze Ent-
wickelung der oberen Hälfte durch den nahen Standpunkt beschränkt wurde), bildet den Haupttheil des
Baues, dem sich die untere Hälfte, fast nur einem Untersatze vergleichbar, unterordnet.

Der obere Theil des Thurmes hat von seinem Fusse an eine achtseitige Grundform. Doch sind den
vier Eckseiten zunächst reichverzierte Strebepfeiler von spitzwinklig dreiseitiger Form vorgelegt, wodurch
das Ganze eine, gewissermaassen zwrölfseitige Grundform erhält. Erst in der Mitte, wo die Streben sich
in der Form freier Tabernakeltbürme von der Masse ablösen, tritt der achteckige Bau in vollkommener
Freiheit hervor. Hier sind seine acht Seiten durch grosse Fensteröffnungen ausgefüllt, während unterwärts
noch die Mauermasse vorherrscht und diese nur durch kleine Fenster, die Schall-Löcher der dort aufgehängten
Glocken, durchbrochen wird. Ueber den letzteren, am Fusse jener grossen Fensteröffnungen, ist bereits
die Plattform des Thurmes, die eigentliche feste Bedeckung seines Innern, angeordnet. Von da an ist
Alles offne, freie, durchbrochene Architektur; keine Wölbung, kein Balken- oder Dachwerk füllt mehr das
Innere aus. Die eigentlich festen Theile der Architektur, in ebenso kühner wie sicherer Construction,
bilden hier nur noch die acht Eckpfeiler zwischen den grossen Fenstern und die acht mächtigen Rippen
der schlanken Spitze, die den Schluss des Ganzen ausmacht; dazwischen sind die giebelgekrönten Bögen
der Fenster und ihr zierlich leichtes Stabwerk, sowie die bunten und in mannigfachem Spiele wechselnden
llosetten in den schmalen Feldern der Spitze, nur eben eingespannt. Alles ist hier in den elegantesten
und leichtesten Formen gebildet; je höher die letzteren emporsteigen, um so flüssiger und luftiger wird
ihre Dekoration, bis dem obersten Gipfelpunkte die mächtige Kreuzblume entblüht, die ihre Blätter dem
Himmelsgewölbe entgegenbreitet. Wunderbar von aussen zu schauen, ist der Durchblick durch dieses
luftige Formenspiel in das Blau des Himmels, wenn man auf der Fläche der Plattform steht, fast noch

wunderbarer, vornehmlich des Abends, wenn die Glut der untergehenden Sonne dies märchenhafte Gebilde
mit Gold und Purpur übergiesst. Der Thurm des Freiburger Münsters ist der Stolz der gotbischen Archi-
tektur; wenigstens vereint unter all den Tbürmen, die zur Ausführung gekommmen sind, keiner in gleichem
Maasse Reichthum, Kühnheit der Construction und freien, gemessenen Adel der Formenbildung. Seine
Gesammthöhe beträgt 385 rheinische Fuss.

Die ganze Weise der Composition, welche an der oberen Hälfte des Thurmes angewandt ist, und so
auch die Weise der Formenbildung gehören übrigens bereits einem vorgerückten Stadium der Entwickelung
des gothischen Baustyles an, gewiss nicht mehr dem dreizehnten Jahrhundert, sondern bereits dem vier-
zehnten. Ob aber etwa der ersten oder der zweiten Hälfte desselben, dies muss ich einstweilen dahin-
gestellt lassen. Man könnte veranlasst werden, mit Bestimmtheit auf die erste Hälfte des vierzehnten
Jahrhunderts zu scbliessen, da sich neben der nördlichen Thür des Chores eine Inschrift findet, des Inhalts,
dass zu dem Neubau des Chores im Jahre 1354 der erste Stein gelegt sei, und da man hieraus zunächst
folgern dürfte, dass von dieser Zeit ab die Bautbätigkeit für die Aufführung des Chores in Anspruch ge-
nommen sei. Doch hat die genannte Grundsteinlegung die wirkliche Aufführung des Chores noch nicht
zur Folge gehabt, indem diese erst nach mehr als hundert Jahren, besonders unter Leitung des Meisters
Hans Niesenberger von Grätz, der 1471 in den Dienst der Stadt Freiburg trat, erfolgt ist; die Einweihung
des Chores wurde erst im Jahre 1513 vorgenommen, Einzelnes an seinen Capellen sogar noch später
vollendet. Es ist nicht unmöglich, dass, nachdem zu dem Chore der Grundstein gelegt war, eine neue
Bauführung vorerst zur Fortsetzung und Vollendung des Thurmbaues Anlass gab und dass man sich dann
 
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