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Gailhabaud, Jules; Kugler, Franz [Hrsg.]
Jules Gailhabaud's Denkmäler der Baukunst (Band 3): Denkmäler des Mittelalters, sechste Abtheilung — 1852

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https://doi.org/10.11588/diglit.3503#0135
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Her Lettner der Magdaleiienkirche in Troyes.

Johann Kantakuzenos erzählt uns dies und sagt, dass bei dieser Gelegenheit der Patriarch in Begleitung
der vornehmeren Geistlichen den Ambo bestiegen habe. Der Ambo diente zum Verlesen der Evangelien
und Episteln, zum Predigen, zum Verlesen der Kirchenregister, von ihm herab verkündete man die Fest-
tage und die zu beobachtenden Fasten, neue Wunder und die Excommunicationen; auf ihm legten Neu-
bekehrte ihr Glaubensbekenntniss ab und zuweilen führten auf ihm vornehme Leute ihre Vertheidigung
wegen Anklagen moralischer Vergehen. Kurz der Ambo war die Sprech- und Rednerbühne, nach der die
Augen des Volks bei allen feierlichen Gelegenheiten gerichtet waren. — Die Ambonen waren häufig von
Marmor und mit Basreliefs geschmückt oder mit reichen Incrustationen versehen, ihre Form war ver-
schieden, es gab viereckige, runde, polygonale etc.; einige hatten einen massiven Unterbau, andere wurden
von Säulen getragen oder von Bogen, die auf Säulen ruhen u. s. wr.

Die Existenz der Ambonen steigt bis ins höchste Alterthum hinauf; schon Salomo hatte in dem Vor-
hofe seines Tempels eine eherne Tribüne,*) auf der er „vor der ganzen Gemeine Israel auf die Kniee fiel
und betete/' und zu christlicher Zeit werden schon in den beiden ersten Jahrhunderten Tribünen erwähnt,
auf der der Vorleser zwischen Cleras und Volk stand und las; es waren ohne Zweifel Ambonen. Der
älteste noch existirende christliche Ambo, dessen Alter positiv fest steht, ist der der Kirche San Spirito
in Ravenna und datirt aus dem VI Jahrhundert. Es giebt der Ambonen noch mehrere in Italien; der
jüngste, den man in Italien sieht, ist der der Kirche San Pancrazio in Rom mit der Jahreszahl 1249.
Obgleich alle Kirchen von romanischer Bauart solche Ambonen gehabt haben müssen, so haben sich doch
ausserhalb Italiens keine erhalten.

sie Lettner folgten den Ambonen im Gebrauch, und da sie für die Predigt weniger geeignet waren

so wurde für diese die Kanzel speciell bestimmt. Die Kanzel unterscheidet sich vom Ambo nur dadurch,
dass sie eine Schalklecke hat. Ihren Namen- aber leitet sie von den canceUi, den Schranken des Presbyteriums
her, zu denen, als der äussersten Grenze desselben, sich der Bischof begab, wenn er die Predigt hielt.

Die Lettner sind -Galerien, die auf der Scheidewand ruhen, welche den Chor vom Schiff der Kirche
trennt. Von diesem erhöhten, von allen bemerkbaren Orte herab, der deshalb auch ostensorium genannt
wird, erfolgte die lectio, die Lesung der Evangelien und Episteln, von der sie den Namen Lettner führen,
wie denn noch heute im niederrheinischen Platt dieser Theil des Gottesdienstes die Letz genannt wird.
Bei den Kirchenschriftstellern wird der Lettner Ambmt, Pulpitum, Analogium, Lectionarium, und später auch
Odeion als Standort für die Sänger genannt; wie denn auch die Orgel öfter auf dem Lettner ihre Stelle
gefunden hat, wie in der Kathedrale von York und in den meisten englischen Kirchen, in der Liebfrauen-

kirche am Berge zu Nordhausen und a. a. 0. **)
wie tribune

Sedeformel;

- Im alten Französich heisst derselbe lectrier, eben so

d pupitre, im jetzigen wird er Jube genannt, welchen Namen man von der also beginnenden
,Jube, Dornine, benedicere" ableitet, die der Lector an das Haupt des Kirchenclerus richtete,
bevor er den Lettner bestieg. Wann das Wort Jube zuerst für Lettner gebraucht worden ist, wissen wir
nicht zu sagen, wohl aber, dass dasselbe schon im XV. Jahrhundert dafür gebräuchlich war. In dem
Ordinarium der Kathedrale von Troyes, das aus dieser Zeit datirt, lesen wir: „Duo vicarii ascendunt pulpitum
alias jubeCi (Zwei Vicare bestiegen das Pulpitum, das auch Jube genannt wird).

Man findet keine Lettner von romanischem Style, was sich wohl daraus erklären läs'.st, dass, als der

romanische Styl im Schwange war, es noch keine Lettner

gab.

äer Lettner erscheint erst mit dem Spitz-

bogenstyle. Mit dem Erstehen eines neuen Baustyles wechselte auch die Form der Kirchenutensilien, der
Ambo wurde verlassen und an seine Stelle trat für die Predigt die Kanzel und für die Lesung der Evan-
gelien und Episteln der Lettner. Dieser Wechsel der Form war kein willkührlicher. Denn als mit dem
Ausgange des XII. Jahrhunderts die Dauer des Gottesdienstes in dem Maasse zunahm, dass sich die Not-
wendigkeit einer Construction fühlbar machte, durch welche die Geistlichen gegen die Zugluft gesichert
wurden, der sie in den weiten Kirchenschiffen ausgesetzt waren, so wurde der ganze Chor mit Schranken-
wänden von über Mannshöhe **'") umgeben, und da durch diese der Ambo den Blicken der Gemeine entzogen

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*) Chronica II, 6, 13. Nach Luthers Uebersetzung: ,,'Denn Salomo hatte eine eherne Kanzel (die Septuaginta übersetzt:
2. £7iOLi](jsv ßacjLV yah/.^v) und gesetzt mitten in die Schranken (die Sept.: SV ߣ(ju> T%q avXrfi tov tsoov, mitten in
die Vorhalle, in den Vorhof des Tempels.)
**) In der Metropolitankirche St. Stephan zu Wien, deren Chor durch ein eisernes Gitter von dem Schiffe geschieden wird,

befinden sich längs den Chorwänden auf Kragsteinen ruhende Galerieen, die als Musiktribünen dienen.
'*") Chorschranken romanischen Styles sind namentlich im nördlichen Europa ausserordentlich selten; wir kennen deren in
Deutschland nur in der Kathedrale zu Trier, in der Liebfrauenkirche zu Halberstadt und in der Kirche zu Wechselburg.

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