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Gailhabaud, Jules; Kugler, Franz [Hrsg.]
Jules Gailhabaud's Denkmäler der Baukunst (Band 3): Denkmäler des Mittelalters, sechste Abtheilung — 1852

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https://doi.org/10.11588/diglit.3503#0136
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Der Lettner der Magdalenenkirche in Troyes.

ward, so wurde der westliche Theil der Chorschranke, der den Chor vom Schiffe trennt, zur Sprechbühne
dadurch gemacht, dass man seine Plattform mit einem schützenden Geländer versah und das Lesepult des
Lectors hierhin verlegte.

Der grösste Theil der Lettner, die noch existiren, bildet eine Art Porticus; manchmal sind sie ziem-
lich tief, und gewähren so Raum für Capellen, die in ihrer Tiefe angebracht sind. Anordnungen dieser
Art finden sich im Dome zu Halberstadt, in der Kirche von Dixmude in Belgien, in der von Alby etc.
Einige haben zwei an den Seiten liegende Thüren, andere eine in der Mitte, noch andere haben drei Thüren.
Manchmal sind die Lettner sehr schmal und werden durch ganz geöffnete Bogenstellungen gebildet, die
zuoberst mit einer Brüstung versehen sind; dies ist gewöhnlich der Fall, wenn sie von Holz erbaut sind,
wie es deren viele giebt. ) Eine andere Hauptform derselben ist diejenige, wo sie nach Art einer Brücke
in drei Bogen oder kühn in einem Bogen von einem Pfeiler zum anderen — die als Widerlager dienen —
gespannt sind, wie in der Kirche St. Etienne du Mont und in der Sainte Madeleine zu Troyes, in der
Liebfrauenkirche zu Nordhausen und a. a. O.

Es giebt auch Lettner, die zwar am Eingange des Chors errichtet sind, aber sich nicht an die beiden
Pfeiler der Kreuzung, die den Anfang des Chores bestimmen, anschliessen; andere wieder lehnen sich an
diese Pfeiler in der Weise an, dass zwei isolirte Tribünen entstehen und der Lettner in zwei Theile ge-
trennt wird, zwischen denen eine Lücke sich befindet, die als Eingang zum Chore dient. Der Lettner der

der sich bis in die Nebenschiffe ausdehnt, steht ganz unge-
Oft sind die Lettner mit einem grossen Crucifix auf ihrer Höhe ge-
schmückt, wie z. B. der in der Domkirche zu Halberstadt und der in der Magdalenenkirche zu Troyes.

Die Zahl der Lettner war einst beträchtlich. Wie Joannes a Via **) erzählt, bestanden noch im sechs-
zehnten Jahrhundert meistens die Chorabschlüsse in den deutschen Kirchen, wurden aber später wegge-

alten Abtei la Chaise-Dieu in der Auvergne,
wohnlich am Eingange des Schiffs

nommen; und eben so sagt Thiers, der um 1688 schrieb, dass zu seiner Zeit in allen oder fast in allen
alten grossen Kirchen Lettner gewesen seien; sie fanden sich besonders in den meisten Kathedralen, so
zu Ronen, Chartres, Paris, Noyon, Vienne, Laon, Beauvais, Amiens, Sens, Meaux, Orleans, Chalons, Reims,
Troyes, Bayeux etc. In Deutschland existiren noch Lettner in den Domen zu Magdeburg, Halberstadt,
Naumburg, Nordhausen, Havelberg, Colberg, Strassburg, Basel und a. a. 0. ***) Im Kölner Dom bestand
der Lettner bis nach der Mitte des vorigen Jahrhunderts, wo er weggebrochen und durch ein Eisengitter
ersetzt wurde. ****) So erging es den meisten.

Die Stadt Troyes war einst reich an Lettner, die Kathedrale, die Kirche St. Etienne, die Kirchen der
Jakobiner, der Cordeliers, des Saint Martin-es-Aires, der Ste. Madeleine hatten einst solche. Von allen
diesen hat sich allein der der letzteren Kirche erhalten. Aber auch er ist oft mit dem Abbruch bedroht
gewesen, und hat viel Verstümmelungen und eine geschmacklose Tünchung erfahren. Man verdankt seine
Erhaltung dem Vermächtniss eines Gelehrten von Troyes, dem P. J. Grosley, der für die Unterhaltung
dieses bewundernswerthen Bauwerks die Summe von 600 Livres in seinem Testamente mit der ausdrück-
lichen Bestimmung aussetzte, dass dieselbe an seine Nachkommenschaft zurückfallen sollte, wenn jemals
dieser Lettner abgebrochen würde.

Die Magdalenenkirche von Troyes gehört hinsichtlich ihrer Erbauung zwei Epochen an, ihr Schiff ist
aus dem XII. Jahrhundert, und ihr Chor, an dessen Eingang sich der besagte Lettner befindet, ist im
Jahre 1501 erbaut worden.

Dieser Lettner ist von einer wahrhaft wunderbaren Ausführung; er wurde im Jahre 1506 durch Jean
Gualdo oder Gaylde, einem maistre magon erbaut, der unter ihm begraben liegt. Seine Grabschrift auf
einer Marmorplatte beweist, dass der Künstler das Bewusstsein hatte, dass sein Meisterstück überraschen

*) Der Umstand, dass die steinernen Lettner, die noch existiren, alle aus späterer Zeit datiren, macht es wahrscheinlich, dass
sie ältere hölzerne ersetzt haben und dass sie ursprünglich alle aus Holz construirt waren. L. L.

'*) Christliche Lehr u. s. w. München 1569. Blatt 103. Seite 4.

"*) Auch in dem Dome zu Hildesheim befindet sich eine im Renaissancestyl des XVI. Jahrhunderts erbaute Chorschranke, die,
obwohl sie mit einem Pulpitum versehen ist, doch nicht zu den Lettnern gerechnet werden kann. Denn da der Chor dieser
Kirche sich schon um ein Beträchtliches über dem Fussboden des Schiffs erhebt, so würde, wenn die Sprechbühne auf den
Gipfel der Scheidewand verlegt worden wäre, der Geistliche zu hoch gestanden haben, um von der Gemeine deutlich gehört
zu werden. So tritt denn der Geistliche aus einer in der Mitte der Scheidewand angebrachten Thür und ohne mehr denn
eine bis zwei Stufen zu ersteigen, unmittelbar aus dem Chor auf das Pulpitum, das nach Art einer Kanzel der Scheide-
wand des Chores angeheftet ist. L. L.

'*) Das Eisengitter trägt die Jahreszahl 1769.

Denkmäler der Baukunst. XIV. Lieferung. ßetruer B. 5D?(tgbut. Ä. 8« tvoini 3.
 
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