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Die Gartenkunst — 9.1907

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Kießling, A.: Die Bedeutung und Verwertung der Perspektive und des freien Zeichnens beim Entwerfen von Gartenanlagen, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.22777#0018

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10

DIE GABTENKUNST

IX, 1

eng verschwistert, als dafs die Bedeutung der Konstruktion
erörtert werden könnte, ohne der Ausgestaltung des Ge-
wonnenen ebenfalls gerecht zu werden: haben wir es über-
dies doch mit den freien Gestalten der Flora zu tun, welche
sich zwar scharf, aber oft nur durch Feinheiten vonein-
ander unterscheiden.

In der neueren Zeit hat man sich mit wachsendem
Interesse der Ausstattung von Plänen mit Perspektiven zu-
gewandt, jedoch kann kein Zweifel bleiben, dafs gerade
dasjenige, was dem Architekten dekoratives Beiwerk ist,

/lA 4,6S6-

Abb. 1.

nämlich die Landschaft, von uns ein liebevolles Eingehen
auf ihre Eigenheiten verlangt. Dekorative Landschaft
und flotteste Technik kann der Architekt in seinen Dar-
stellungen ohne Schwierigkeit vereinigen, denn sein Haus
kommt im Charakter seiner Form, Flächen und Stoffe,
nicht schlecht dabei weg — eher ist das Gegenteil der
Fall: Ein Haus in flottem Aquarell sieht auf dem Papier
leicht schöner aus, als der Bau selbst, doch seinen Charakter
verliert es nicht. Diese Gefahr besteht aber bei der
Landschaft.

Zu grofs und massig gehalten, kann sie z. B. leicht
ihren freundlichen Charakter verlieren und feierlich ernst
erscheinen. Die dekorativ behandelte Szenerie der \regetation
hebt gerade infolge dieser Ausführung das Haus in seiner

feineren Durcharbeitung wesentlich, während sie selbst vom
Fachstandpunkte bedeutend verliert, wenn die Charaktere
nicht gewahrt bleiben.

Es ist viel schwieriger, die freie Pflanze flott dekorativ
und doch charakteristisch in wenigen Strichen wieder-
zugeben als Archtekturteile mit ihren festen Formen.

Wir dürfen nicht auf die wechselvollen Reize unserer
Pflanzenbilder infolge oberflächlicher dekorativer Behandlung
verzichten, denn die rohe Gruppierung der Massen allein
schafft die landschaftliche Schönheit nicht — die Pflanzen-
charaktere mit ihren Kontrasten, ihrer Harmonie bringen
erst die malerischen Reize. Was der Wirklichkeit recht,
ist der Perspektive bitter nötig, wenn sie praktischen fach-
männischen Wert haben soll. Wenige Linien im Umrifs,
der Astzeichnung und der Laubgruppierung sind es, welche
scharf und klar die Schönheit der einzelnen Pflanzen
zeigen, und gerade diese gehen leicht bei dekorativer
Behandlung unter „flottem Schmifs" verloren, gerade sie
verlangen die schärftse Beobachtung. Italienische Pappel,
mehrere Koniferenarten, freie Pyramidenformen anderer
Gehölze kommen in Gefahr, ineinander unterzugehen.
Innerhalb der wichtigsten Charakterlinien bleibt für grofse
breite Behandlung Raum genug (s. die beiden Koniferen
vor dem Pavillon der Abb. 4 Seite 13).

Das freie Zeichnen wird oft in Fachkreisen gering-
schätzig beurteilt. Das ist falsch. Ohne dieses gibt es
kein praktisches perspektivisch-malerisches Denken, kein
geschärftes Nachempfinden einst gesehener Formen. Dieses
mangelnde „Gedächtniszeichnen" ist die Ursache mancher
verfehlten Anlage.

Ebensowenig ist die perspektivische konstruierte An-
sicht ein Luxus; sie nur zu dem Zweck zu „erfinden", den
Plan appetitlich zu machen, heifst freilich dieses wichtige
Hilfsmittel zur geschäftlichen Spielerei herabzudrücken.

Wer in letzterem Sinne arbeitet, dem kommt es natür-
lich nicht darauf an, die Ansichten mit einem Beiwerk
auszustatten, welches weder Plan noch Anlage berück-
sichtigt — Schaumschlägerei!

Sorgfältig gearbeitete Perspektiven haben mit leerer
Phantasie nichts zu tun, sie haben vielmehr, richtig ein-
geschätzt, hohe praktische Bedeutung, indem sie es er-
möglichen, an jeder Stelle des Plans festzustellen, ob dieser
das Gewollte wirklich wiedergibt, und ob er nicht Mängel
enthält, welche eben durch die Perspektive zu finden und
zu beseitigen sind.

Man vergleiche Abb. 1 und 2. „I" gibt die zuerst
gewählte Stellung des Erlengehölzes an, „II" zeigt die
Gruppe in korrigierter Stellung. Bedingung war hierbei
die Unveränderlichkeit des Sitzplatzes. „II" wurde frei-
händig in die Ansicht hineingesetzt und rückwärts ent-
wickelt in den Plan übertragen. Der Blick wurde also
einfach konstruktiv freigelegt.

„Konstruktion!" das ist es eben, was leicht unter-
schätzt oder vergessen wird — eine richtige Konstruktion
kennt kein „Entweder — oder"! Ein Aufrifs, Grundrifs,
Schnitt, sie alle ßind auch, wie bekannt, keine Phantasie-
gemälde.

Schnitte geben trotz ihrer technischen Vorzüge fast
 
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