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Die Gartenkunst — 9.1907

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Fuchs, Ludwig F.: Die Reform der Gartenkunst und die Tradition
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https://doi.org/10.11588/diglit.22777#0048

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DIE GARTENKUNST

IX, 3

gessen wurde, vielmehr es geschieht noch jetzt, und zwar
in unheimlichem Maßstabe. Fast unsere sämtlichen modernen
städtischen Bauten vom Rathaus bis zum einfachsten Zins-
haus sind beredte Zeugen. All diese albernen Kästen mit
dem aufgepappten Renaissance-, Rokoko- etc. -Zeug sind
Versündigungen gegen das oberste Gesetz. Es ist daher
nicht weiter erstaunlich, aber um so erfreulicher, daß hier
der Ruf nach sachgemäßer Bodenständigkeit so kräftig er-
klingt. Aber was heißt in diesem Falle Bodenständigkeit'.'
Es heißt in den meisten Fällen nichts anders als: Anknüpfen
an diejenige Blüteperiode der Baukunst, die unserem Emp-
finden, unseren Bedürfnissen am nächsten steht. Man nennt
diese Zeit — oberflächlich genug — „Biedermeierzeit".
Allerdings ist zu bemerken, daß bedeutende moderne Archi-
tekten sich mit viel Glück auch in Barock, Renaissance usw.
versucht haben. An die Tradition anknüpfen heißt eben
nicht die letzte Blütezeit sklavisch nachahmen, sondern
ergründen, was früheren Werken das Eindrucksvolle, die
zwingende Wirkung verleiht, kurz wie in ihnen die ewigen
Gesetze aller Kunst gewahrt sind, die uns in den ver-
schiedensten Stilen entgegentreten. Bezüglich der ange-
wandten Künste wie Haus- und Gartenarchitektur muß uns
dies Verfahren da am leichtesten werden, wo wir die meisten
persönlichen Berührungspunkte finden. Dies ist wohl fast
immer bei einer nicht allzuweit zurückliegenden Epoche
der Fall. Unzweifelhaft sind die geometrischen Gärten,
die dem 18. Säkulum ihre Entstehung verdanken sowohl
in ihrer Wahrung der rhythmischen Stilistik der Anlage
und des Anschlusses an die Architektur, die sie zur Voraus-
setzung haben, als auch in ihrer bequemen Bewohnbarkeit
und sachgemäßen Bepflanzbarkeit für uns das Vorbildlichste,
was uns zur Verfügung steht. Solche Gärten sind be-
sonders in Residenzstädten noch in großer Zahl vorhanden
und haben zum Teil eine außerordentliche Berühmtheit
erlangt. Sie wirken heute noch durch ihre vornehme
Ruhe erhebend auf unser Gemüt und haben nichts Fremdes
für uns. Ich dächte dasselbe gelte auch von den einfachen
Hausgärten, wie sie jedem von uns wohl in einigen Exem-
plaren bekannt sind, und wie sie uns Schultze-Naumburg
in Hülle und Fülle vorführt. Ich dächte, das sei gerade
das Erstrebenswerte bei einer Gartenanlage, was in diesen
oft außerordentlich primitiven Gärten so wohltuend und
rein zum Ausdruck kommt. Wie gesagt, für mich unter-
liegt es keinem Zweifel, auf welcher Grundlage unsere
Gartenreform zu beginnen hat.

Bezeichnend für das Gesagte ist die Tatsache, daß der
Niedergang der Gartenkunst zeitlich zusammenfällt mit
dem der anderen Künste, und daß zur gleichen Zeit, in.
der diese sich zu einem neuen Leben aufraffen, auch
Stimmen laut werden, die gebieterisch eine Reform der
Gartenkunst verlangen. Das sollte den Verteidigern der
englischen oder vielleicht besser gesagt natürlichen Rich-
tung zu denken geben. Alle und zwar ausnahmslos alle
Vorkämpfer einer modernen Gartenkunst halten diesen
„natürlichen" Stil für eine Entartung und weisen auf die
rhythmische Gestaltung früherer Epochen hin. Denn man
mag sagen was man will, der natürliche Garten ist und
bleibt eine versuchte Nachahmung eines Naturausschnittes.

Aber geradesowenig als eine angemalte Photographie
eines solchen Naturausschnittes ein Kunstwerk ist, obwohl
sie der Natur vielleicht näher kommt als das Gemälde des
vortrefflichsten Malers, geradesowenig ist die Nachahmung
der Natur ein Garten. Sei das Vorbild auch noch so
idyllisch. Man darf nie vergessen, daß der Maler von
vornherein gar nicht die Absicht hat, uns dies oder jenes
Stück Natur vorzuführen, sondern daß er irgend ein solches
Stück als Mittel benutzt, uns etwas zu sagen, seine reiche
Künstlerseele auf uns wirken zu lassen. Je reicher diese
Künstlerseele ist, desto intensiver wird die Wirkung des
Kunstwerkes sein, Genau so verhält es sich in der Garten-
kunst. Wir sollen die Natur nicht nachahmen, sondern
dieselbe lediglich benutzen, ein Kunstwerk zu schaffen,
das vermöge seines künstlerisch durchdachten Aufbaues,
seiner angenehmen stimmungserweckenden Benutzbarkeit,
kurz durch seinen Rhythmus eine bestimmte von dem
schaffenden Künstler gewollte Wirkung auf jeden ein-
drucksfähigen Menschen ausübt.

Wie reizvoll steht ein Garten, der nach den Gesetzen,
die der künstlerisch schaffenden Menschenhand vorge-
schrieben sind, unter dem Zwange der dominierenden
Architektur entstanden ist, in der natürlichen Umgebung.
Für einen solchen Garten kommen ganz andere Bedingungen
und Möglichkeiten in Betracht, als wie für den Stadtgarten.
Während letzterer die strengste Abgeschlossenheit zu
wahren hat, muß ersterer bei aller Ungestörtheit den Genuß
der landschaftlichen Schönheit von bevorzugten Punkten
aus ermöglichen. Außerordentlich reizvoll ist dieser Kontrast
zwischen gesetzmäßiger Schönheit und der schrankenlosen
Erhabenheit der freien Natur in einem mir bekannten —
leider nur noch als Ruine erhaltenen — Garten in der
Umgebung von Darmstadt ausgenutzt. Der Garten, welcher
ungefähr im Jahre 1760 entstanden ist und eine geometrische
Anlage von großem Reize darstellt, ist am Rande der Rhein-
ebene gelegen, jener Ebene, die Herder als eine „melancho-
lische Zaubergegend" bezeichnet. Von den Fenstern des
entzückenden Barockschlößchens und von dem vorgelagerten
großen Rasenparterre aus, dem Lieblingsaufenthalt der
früheren fürstlichen Besitzer, schweift der Blick ungehemmt
über das halbmondförmige Wasserbecken und den Zaun
hinweg nach der weiten Ebene, deren Abschluß gebildet
wird durch die majestätische Scheitellinie des Taunus.
Vom Wassel' aus wird der Blick geleitet von einer Allee
lombärdischer Pappeln, die vom Beschauer weg konvergent
verläuft. Diese Konvergenz ist es, die uns hier interessiert.
Sie soll als willkürlich herausgegriffenes Beispiel beweisen,
mit welchen raffinierten Mitteln die alten Meister unserer
Kunst gearbeitet haben, und soll zeigen, was bei ihnen
alles zu lernen ist. Das Zusammenlaufen der beiden Baum-
fluchten erweckt in uns die optische Täuschung, als liege
der von den beiden letzten Pappeln umrahmte Naturaus-
schnitt bedeutend weiter von uns weg, als dies in Wirk-
lichkeit der Fall ist. Das Auge nimmt eben an, daß die
beiden Baumreihen parallel laufen und die Konvergenz
durch ihre große Länge hervorgerufen werde. Dies bewirkt
aber, daß der Vordergrund, die vollkommen flache Ebene
an Interesse verliert, während der landschaftlich inter-
 
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