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Die Gartenkunst — 9.1907

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Linne, Otto: Unsere Stellung zur heutigen Gartenkunstbewegung: Vortrag, gehalten in der Sitzung der Gruppe "Sachsen-Thüringen" der Deutschen Gesellschaft für Gartenbau in Leipzig am 3. März 1907
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https://doi.org/10.11588/diglit.22777#0104

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98

DIE GARTENKUNST

IX, 5

achten Sie dabei auch das mit Recht so verurteilte
„Vorgartenelend", die Gärten an und neben den Häusern

— und wenn Sie solch eine Reise beendet haben, dann
ziehen Sie einmal ohne Voreingenommenheit das Fazit!

Was haben Sie anderes gesehen, als überall dieselbe
„Schablonen"-Arbeit in den städtischen und anderen
öffentlichen Anlagen; was haben Sie anderes gesehen, als
überall dieselbe Stümperei und Pfuscherei in den Vorgärten;
was anderes, als Miniaturbilder von Landschaften, Gebirgen,
Seeen in den Hausgärten?!

Ich habe mich in den letzten Jahren viel, sehr viel
umgesehen in deutschen Städten — aber ich habe wenig

— sehr wenig gesehen von Anlagen, die von einem eigenen
künstlerischen Empfinden, von einer Individualität oder auch
nur von ein wenig liebevollem Vertiefen des ausführenden
Gärtners in seine Arbeit etwas verrieten.

Wahrlich! die Künstler haben recht, wenn sie von
der fertigen Schablone reden, die der Landschaftsgärtner
heute für jeden Garten, für alle Verhältnisse bereit hält,
und die er jeder Anlage aufdrückt, die ihm unter die
Finger kommt.

Aber — geht es mit der Gartenkunst allein so?

Ich habe auf meinen Studienreisen nicht nur die An-
lagen und Gärten besucht, sondern ich habe auch die
Bauart, die Architektur der Städte, der privaten wie der
öffentlichen Gebäude, die Legung der Straßenzüge, die
Platzgrenzen und vieles andere mehr zu studieren mich
bemüht, und — wenn das Sprichwort richtig ist: „solamen
miseris, socios habuisse malorum" — den Trost kann ich
Ihnen, meine Herren geben: „Mit der Stadtbaukunst und
mit der Architektur ist es genau so schlecht oder gut
bestellt, wie mit der Gartenkunst." Unendlich viel Schema,
unendlich viel Schablone und sehr, sehr wenig künst-
lerisches Empfinden, künstlerische Eigenart!

Mit demselben Recht, mit dem die Künstler unsere
Gartenkunst schelten, weil bei weitem die große Mehrzahl
der öffentlichen und privaten Gärten Schablone und Nach-
ahmung, Spielerei und Stümperei ist, mit demselben Recht
können wir auch die Kunst der Architekten schelten und
behaupten, sie sei rückständig.

Als ich zum ersten Malo den Band II von Schultze-
Naumburgs Kulturarbeiten: „Gärten" durchstudiert hatte,
da sagte ich mir, und dieser Meinung gab ich auch
aivf einer Sitzung unserer Gruppe in Halle Ausdruck:
„Was will der Mann denn eigentlich?" Er stellt uns in
Beispiel und Gegenbeispiel eine Menge schlechter, neuer
Mauern, Zäune, Gartenhäuser, Anlagen, Brücken usw.
ebenso vielen alten guten Mauern usw. gegenüber und
behauptet, die ersteren neuen sind schlecht und die letzteren
alten sind gut. Da hat er Recht. Das wird ihm kein
Mensch bestreiten, aber das ist doch kein Beweis, daß
die Gartenkunst von Grund aus reformiert werden muß.

Genau in derselben Art und in derselben Fülle sind
Beispiele und Gegenbeispiele aus der Architektur, aus
Malerei, aus allen Kunstgebieten mit Leichtigkeit aufzu-
stellen. Hie neu und häßlich — hie alt und gut!

Zur Beweisführung gehört die Gegenüberstellung-

gleichwertiger Beispiele. Gutes Neues gegen gutes Altes,
schlechtes Neues gegen schlechtes Altes.

Ein wiederholtes Studium desselben Buches und die
Einsichtnahme in den Band „Städtebau" der Schultzeschen
Kulturarbeiten haben mich belehrt, daß Professor Schultze-N.
nicht die Gartenkunst als solche angreifen will, sondern
daß er ganz allgemein, in der Gartenkunst wie im Städte-
bau, den Sinn wecken will für das Schöne, das Zweck-
mäßige, das für die einzelnen Verhältnisse Passende und
daß er in der richtigen Erkenntnis, daß der Hauptfeind des
Schönen die Sucht nach etwas Neuem, Modernen ist, mit
besonderer Vorliebe das Moderne aber Scheußliche dem
schönen Alten gegenüberstellt.

Und so, wie sich mir hiernach die Bestrebungen
Schultze-Naumburgs darstellen, so müssen und sollen wir
auch, so meine ich, die Bestrebungen, die Kritiken und
selbst die Anfeindungen anderer Künstler auffassen.

Nicht eine Negierung alles dessen, was .seit langem
geschaffen ist, all des Schönen, das tüchtige Gartenkünstler
auch in den letzten Jahrzehnten und Jahren geschaffen
haben, sollen wir in den Stimmen der Künstler erblicken,
sondern einen Mahnruf an das Gros der Landschafts-
gärtner und an das Publikum.

Den Mahnruf an die Gärtner, daß ihre Kunst nicht
anders sei, wie jede andere, daß auch- sie nicht stille
stehen und nicht auf Lehrbücher eingeschworen werden
kann, daß nur stete persönliche Fortarbeit und Fort-
entwickelung den Künstler und die Gartenkunst fördern
kann, und daß die Gartenkunst, wie jede andere Kunst,
sich nicht abschließen und einkapseln darf, sondern daß
sie die ganz „freie Luft von außerhalb", ein freies gegen-
seitiges Zusammenarbeiten mit anderen Künsten braucht.

Und ein Mahnruf auch an das Publikum, in dem
Garten etwas anderes zu sehen, als ein notwendiges Übel,
von Bauordnungen diktiert, oder einen Spielplatz für die
Kinder mit ein paar Bäumen als Schattengeber und etwas
Obst und Gemüse für die Küche, oder gar — wie es
leider so oft aufgefaßt wird — als billigstes Mittel, sich
das Nachbarhaus mit . seinen neugierigen Bewohnern
möglichst fern und unsichtbar zu erhalten. Ein Mahnruf,
den Garten ausgestalten zu lassen mit derselben Liebe,
mit Rücksicht auch auf dieselben persönlichen Wünsche,
die bei der Ausstattung des Hauses und der Zimmer
maßgebend sind — nicht rein handwerksmäßig nach
Stil ,,f" und Schablone „k", sondern als für sich voll-
berechtigtes aber auch vollempfundenes Kunstwerk.

Können wir diese Mahnrufe, die nach meiner Auf-
fassung in den Stimmen der Künstler liegen, bekämpfen?

Sie werden mir einwenden, daß die Vorträge des
Prof. Olbrich, des Maler Loipheimer, die Streitschriften von
Lichtwark und Muthesius, die Ausführungen von Schultze-
Naumburg doch eine ganze Menge Angriffe gegen die
heutige Gartenkunst und Anfeindungen von Anschauungen
über Gartenkunst enthalten, die wir für recht und richtig
halten.

Ja, meine Herron, haben Sie schon einmal _ zwei
selbständige Gartenkünstler kennen gelernt, deren An-
schauungen über Gartenkunst sich vollständig docken?
 
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