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Genius: Zeitschrift für werdende und alte Kunst — 1.1919

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Erstes Buch
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Die Bildenden Kuenste
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Redslob, Edwin: Heinrich Nauens Barmherziger Samariter
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https://doi.org/10.11588/diglit.61254#0076

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EDWIN REDSLOB/HEINRICH NAUENS BARMHERZIGER SAMARITER

Zum alten Thema wählte Heinrich Nauen
in seinem Bild vom barmherzigen Sama-
riter die alte Form: die bewährte Drei-
ecksgestaltung der Komposition. Und
während darum das Bild, als es 1917 auf der deut-
schen Kunstausstellung in Zürich erschien, von
manchem veraltet genannt wurde, erlebt der
ruhige Betrachter vor ihm die Freude, daß inner-
halb eines altmeisterlichen Gefüges Linien zucken,
Farbakzente springen, Empfindungen gestaltet wer-
den, die durchaus unserer Gegenwart zu eigen sind.
Rein äußerlich ist von der Dreieckskomposition
Heinrich Nauens zu sagen, daß sie sich nicht,
wie zu Zeiten Raffaels und Dürers, als Be-
grenzung und Abschluß um gerundete Kurven
legt, daß hier vielmehr für das ganze Bild die
Form des Dreiecks und die dissonante Kraft
seiner spitzwinkeligen Ausbiegungen grundlegend
ist. Dies Zucken und Splittern ist für Nauens
Stil durchaus bezeichnend: in einem für das Musik-
zimmer der Sammlung Geller zu Neuß gemalten
Bild vermag es Schwung von Tönen zu er-
wecken, in der Amazonenschlacht des Wand-
bildes von Burg Drove bäumt es sich auf zu
Rhythmen des Kampfes, in der Beweinung, die
dem Zyklus der gleichen Burg angehört, laden
die Winkel breit aus und bedeuten lastende
Trauer. Vor allem aber ist in den Händen, die
Nauen malt, stets etwas von den gegenwendig
umspringenden Kräften zu spüren, die spitz-
gebrochenen Linien zu eigen sind.
Zu diesen bestimmend am unteren Bildrand
ansetzenden Linien tritt der kompositionelle Ab-
schluß, der durch den Samariter und das Pferd
gegeben wird, wie ein Rahmen: ein Zittern im
Schmerz und ein mitleidvolles Niederbeugen
geben die Gegenkräfte.
Dem als völlig neu und eigenartig anzusprechen-
den Aufbau, den eine zuckend zur Ferne führende
Linie räumlich einfügt, entspricht das seelische
Leben des Bildes.

Das Gleichnis des barmherzigen Samariters wird
hier nicht als anekdotische Erzählung des Ge-
schehens gebracht: der Maler hat es vermocht,
ein „Bild“ hinzustellen von Schmerz und Mitleid,
das den Menschen in uns aufrüttelt und sich
einprägt, so wie einst die Worte Christi sich
eingeprägt haben mögen.
Die Grundmotive: Schmerz, Fürsorge und gleich-
gültiges Warten geben einen Akkord, der in seinem
dreifachen Aufbau geheimnisvoll mit dem Rhyth-
mus der Komposition zusammenstimmt. Keiner
vor Nauen hätte diesen von unten nach oben
aufstrebenden Linienbau gebracht, keiner hätte
es gewagt, ihn vor die Schneefläche zu stellen,
die das Frieren und alle Qual der Verlassenheit
zur Klage erhebt.
Hier verbindet sich Komposition und Farben-
gebung zur tiefen Einheit. Das weißgraue Blau
des winterlichen Feldes, das Blau-Schwarz der
Bäume umhüllt die leuchtende Farbigkeit der
Gruppe. Rot und Grün, dazu ein helles Gelb
im Kopftuch klingen in der Gewandung des
Samariters und leuchten wie Leben und Reich-
tum über dem armen, gelblich kranken Körper
des Gepeinigten. Als Rahmen wirkt das Rot-
braun des Pferdes und schließt den bunten Akkord
ab, der genau so wie der Aufbau die Seele des
Bildes enthält.
Es ist ein Werk aus einem Guß, dem Heutigen
ein Stück tiefen seelischen Empfindens, dem
Späteren wohl einst das Spiegelbild einer Zeit,
die schwer trug an innerem Erleben.
Das Bild, das in seiner geschlossenen Farb-
wirkung vor ruhigem Flächengrund Nauens
Neigung zur Wandmalerei begreifbar macht, hat
große Masse, es umspannt 1,67 m in der Höhe,
1,18 m in der Breite. Es befindet sich im Besitz
der „Freunde deutscher Kunst“, einer Vereinigung,
die durch rechtzeitigen Erwerb zeitgenössischer
Werke Museen und Sammlern schon manche
Lehre zu geben vermochte.
 
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