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Genius: Zeitschrift für werdende und alte Kunst — 1.1919

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Erstes Buch
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Dichtung und Menschheit
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Klemm, Wilhelm: Gedichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.61254#0184

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WILHELM KLEMM / GEDICHTE

Frage
Wenn du getrunken hast aus den Bechern der Unsterblichkeit
Und gegessen vom Brote des Lebens,
Wenn du geliebt hast Traum und Asche,
Vereint in der Flüsterseligkeit eines Leibes,

Wenn du ruhig bliebst im Siegel der Vernichtung
Und erkanntest, was weiser ist als Ruhm und Reichtum,
Wenn du tatest, was dein Wesen verlangte,
Unfreier Nebenbuhler hoher Freiheit,

Sollte das nicht genügend sein? Warum immer wieder
Hoffnung und Wandertrieb, Unrast und Überdruß?
Genügt die Welt nicht, dich zu sättigen, Unersättlicher?
Laß mich! Ich muß altern in Sehnsucht.

Ausgleich

Das Gebirge entfaltet sich. Steinerner Samt
Sinkt ins Schattental, wo Wälder die Flügel breiten.
Von Gipfel zu Gipfel führen zarte, sinnende Wege.
Die Silberkrone des ewigen Schnees quillt auf.
Einsamkeit starrt mich an mit azurnem Auge,
Über Abgründe hängt der splitternde Fels.
Zerbrochner Tafeln wilde Verwüstung
Tost hinab in die stille Verdammnis.
Untergang und Auferstehung
Reichen sich unendliche Hände.
Der Wasserfall sinkt gelassen in schwarze Klüfte.
Ein Vogel kreist. Die Quelle lächelt.
 
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