AUGUSTUS SCHMEHL/OSCAR LUTHY
Oscar Lüthys große Kunst ganz zu durch-
i dringen, dazu bedarf es einer eigen-
artigen und doch einfachen Einstellung.
Wenn man den gefühlsmäßig überzeu-
genden Eindruck, daß Lüthys Schaffen eine Wende
in der Entwicklung unserer heutigen Malerei be-
deutet, gedanklich zu stützen versucht, ergeben
sich vor allem drei Anhaltspunkte, aus deren Er-
örterung das Woher, das quäle, das Wohin dieser
Laufbahn sich herausschälen.
Lüthy trägt zum ersten wie jeder Mensch an
jener Unmenge von Erbschaft, die uns von jeher in
die Welt setzt. Er verarbeitet diese qualitativ, gibt
sein Neues dazu, und zeigt mit deutendem Finger
in die Zukunft. Doch verläuft dieser allgemein
klare Prozeß nicht in üblicher Weise. Gleich allen
geistig schwerblütigen Leuten kompliziert Lüthy
seine Aufgabe durch Umwege. Dazu schreitet er
auch nicht selbstsicher seinen Weg als Künstler
dahin, er fühlt sich in ihn hinein, fühlt sich selbst
in seine Malerei, — seine Kunst ist mehr Geist als
Materie, seine Bilder sind, was neu und unerhört
ist an dieser künstlerischen Erscheinung, die tatsäch-
liche Vergeistigung der wiederzugebenden Materie.
Zum zweiten: was für Materie hat Lüthy
zu überwinden, um zu diesem seinem Geist
zu gelangen, und wie besiegt er sie, um sie
zu Geist zu machen? Er klammert sich nicht
an die tatsächliche Fülle der Dinge, an Begren-
zung, Farbe und Stoff. Er genügt sich auch
nicht mit dem, was er auffängt im Spiegel seines
Auges, mit der gestuften Vielfältigkeit der Er-
scheinungen, mit zartem und herbem, willkür-
lichem und gesetzmäßigem Wechsel von Licht
und Form, mit allem, was dem nur Schauenden
zu einem fast schon unausmeßlich reichen Leben
wird. Er malt weniger und mehr: keine Kopie
der Natur und keine geistreiche Variation ihrer
Erscheinungsformen — er nimmt alles Äußer-
liche weg und setzt an die Stelle den Sinn der
Materie. Keine Flucht ins Metaphysische. Denn
immer geht er aus vom stofflich Gegebenen und
Das Genie des Herzens ... der Tropfen
Güte und süße Geistigkeit ...
Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse.
richtet seinen Blick ins Herz der Dinge. Das Haar,
das er malt, ist kein Haar — äußerlich aufgefaßt;
doch transponiert sein Haar den Eindruck, als
ob man echtes Haar sieht, fühlt. Man denkt
nicht an Abbild auf der Leinwand, an künstle-
rische Gestaltung, sondern an das eigene Er-
leben der Wirklichkeit, ohne daß etwas ge-
opfert ist an malerisch-technischer Vollendung.
Das alles zielt nicht ab auf die Erschaffung eines
eigenartigen Kunstprodukts, sondern auf die Er-
weckung des Lebens selbst. Seine Rosen haben
den ganzen Duft, alle Zartheit einer Rose, das
sammetweiche Wunder dieser königlichen Blume
— und sind doch im bisherigen Sinne keine ge-
zeichneten und kolorierten Rosen, sondern lebende
Blumen, wie sie auf dem Tische vor uns stehen
— und existieren in all ihrer Pracht.
Drittens und letztens: Lüthys Kunst strömt
eine Harmonie aus, die befreit. Sein Wohin —
sein Zweck ist, die Menschen beseligt aufatmen
zu lassen, sie zu erlösen vom Druck und der
Fessel des Materiellen. Diese Erlösung zu wirken
ist nicht Frucht eines mühelosen Schaffens und ver-
langt dazu auch noch die Mitarbeit der zu Erlösen-
den. Lüthys intellektuelle Kämpfe, die seine Kunst
reinigen und tief innerlich machen, sie sollten
auch die Kämpfe sein, die das Auge dessen durch-
zumachen hat, der vor Lüthys Schaffen steht und
es zu begreifen versucht. Nicht im analytischen
Sinne wie Kokoschkas Kunst, die ein immenser
Abschluß ist. Nicht wie eins der Werke Dosto-
jewskis, der wohl einen Abgrund zuwarf, aber
auf ihm nicht bauen mochte und konnte. Und
nicht wie ein Gemälde Rousseaus, dessen Malerei
beglückt und dessen primitive Harmonie be-
ruhigt — nein, Lüthy, modern und tausendjährig
alt, vereint in sich ein Prinzip, das läutert, auf-
löst und erlöst. Es ist sein Genie des Herzens,
das an das unsere klopft wie der Tauwind als
Bote kommenden Frühlings. Aber dazu muß
auch das Eis unserer Seele schmelzen.
Lüthys künstlerisches Schaffen läßt sich dem-
Oscar Lüthys große Kunst ganz zu durch-
i dringen, dazu bedarf es einer eigen-
artigen und doch einfachen Einstellung.
Wenn man den gefühlsmäßig überzeu-
genden Eindruck, daß Lüthys Schaffen eine Wende
in der Entwicklung unserer heutigen Malerei be-
deutet, gedanklich zu stützen versucht, ergeben
sich vor allem drei Anhaltspunkte, aus deren Er-
örterung das Woher, das quäle, das Wohin dieser
Laufbahn sich herausschälen.
Lüthy trägt zum ersten wie jeder Mensch an
jener Unmenge von Erbschaft, die uns von jeher in
die Welt setzt. Er verarbeitet diese qualitativ, gibt
sein Neues dazu, und zeigt mit deutendem Finger
in die Zukunft. Doch verläuft dieser allgemein
klare Prozeß nicht in üblicher Weise. Gleich allen
geistig schwerblütigen Leuten kompliziert Lüthy
seine Aufgabe durch Umwege. Dazu schreitet er
auch nicht selbstsicher seinen Weg als Künstler
dahin, er fühlt sich in ihn hinein, fühlt sich selbst
in seine Malerei, — seine Kunst ist mehr Geist als
Materie, seine Bilder sind, was neu und unerhört
ist an dieser künstlerischen Erscheinung, die tatsäch-
liche Vergeistigung der wiederzugebenden Materie.
Zum zweiten: was für Materie hat Lüthy
zu überwinden, um zu diesem seinem Geist
zu gelangen, und wie besiegt er sie, um sie
zu Geist zu machen? Er klammert sich nicht
an die tatsächliche Fülle der Dinge, an Begren-
zung, Farbe und Stoff. Er genügt sich auch
nicht mit dem, was er auffängt im Spiegel seines
Auges, mit der gestuften Vielfältigkeit der Er-
scheinungen, mit zartem und herbem, willkür-
lichem und gesetzmäßigem Wechsel von Licht
und Form, mit allem, was dem nur Schauenden
zu einem fast schon unausmeßlich reichen Leben
wird. Er malt weniger und mehr: keine Kopie
der Natur und keine geistreiche Variation ihrer
Erscheinungsformen — er nimmt alles Äußer-
liche weg und setzt an die Stelle den Sinn der
Materie. Keine Flucht ins Metaphysische. Denn
immer geht er aus vom stofflich Gegebenen und
Das Genie des Herzens ... der Tropfen
Güte und süße Geistigkeit ...
Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse.
richtet seinen Blick ins Herz der Dinge. Das Haar,
das er malt, ist kein Haar — äußerlich aufgefaßt;
doch transponiert sein Haar den Eindruck, als
ob man echtes Haar sieht, fühlt. Man denkt
nicht an Abbild auf der Leinwand, an künstle-
rische Gestaltung, sondern an das eigene Er-
leben der Wirklichkeit, ohne daß etwas ge-
opfert ist an malerisch-technischer Vollendung.
Das alles zielt nicht ab auf die Erschaffung eines
eigenartigen Kunstprodukts, sondern auf die Er-
weckung des Lebens selbst. Seine Rosen haben
den ganzen Duft, alle Zartheit einer Rose, das
sammetweiche Wunder dieser königlichen Blume
— und sind doch im bisherigen Sinne keine ge-
zeichneten und kolorierten Rosen, sondern lebende
Blumen, wie sie auf dem Tische vor uns stehen
— und existieren in all ihrer Pracht.
Drittens und letztens: Lüthys Kunst strömt
eine Harmonie aus, die befreit. Sein Wohin —
sein Zweck ist, die Menschen beseligt aufatmen
zu lassen, sie zu erlösen vom Druck und der
Fessel des Materiellen. Diese Erlösung zu wirken
ist nicht Frucht eines mühelosen Schaffens und ver-
langt dazu auch noch die Mitarbeit der zu Erlösen-
den. Lüthys intellektuelle Kämpfe, die seine Kunst
reinigen und tief innerlich machen, sie sollten
auch die Kämpfe sein, die das Auge dessen durch-
zumachen hat, der vor Lüthys Schaffen steht und
es zu begreifen versucht. Nicht im analytischen
Sinne wie Kokoschkas Kunst, die ein immenser
Abschluß ist. Nicht wie eins der Werke Dosto-
jewskis, der wohl einen Abgrund zuwarf, aber
auf ihm nicht bauen mochte und konnte. Und
nicht wie ein Gemälde Rousseaus, dessen Malerei
beglückt und dessen primitive Harmonie be-
ruhigt — nein, Lüthy, modern und tausendjährig
alt, vereint in sich ein Prinzip, das läutert, auf-
löst und erlöst. Es ist sein Genie des Herzens,
das an das unsere klopft wie der Tauwind als
Bote kommenden Frühlings. Aber dazu muß
auch das Eis unserer Seele schmelzen.
Lüthys künstlerisches Schaffen läßt sich dem-