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Genius: Zeitschrift für werdende und alte Kunst — 1.1919

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Zweites Buch
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Dichtung und Menschheit
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Babits, Mihály: Mythologie / Eine Erzählung
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https://doi.org/10.11588/diglit.61254#0313

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I

MICHAEL BABITS/MYTHOLOGIE/EINE ERZÄHLUNG
AUS DEM UNGARISCHEN ÜBERTRAGEN VON STEFAN J. KLEIN

I.

I'IF erakles strebte mit schweren, jedoch
| behutsamen Schritten durchs Dickicht
I des Erymanthos hinan. Unter seiner
A weichen, rohledernen Fußbekleidung
knirschte der trockene Boden kaum; seinen Köcher
hatte er mit Reisig an der Schulter festgestopft,
damit die Pfeile kein Geräusch verursachten. Sein
Auge spähte nach allen Seiten aus, sein Ohr
spitzte sich beim leisesten Rascheln, wenn ab
und zu ein Tier nach rechts oder links dahin-
huschte. Die mächtige Faust hielt krampfhaft den
schweren Bogen. Dicht folgte er der Spur
des furchtbaren Ebers. Auch er selbst glich einem
gewaltigen wilden Tier, einem starken und ge-
schickten Waldtier, das mit gestrafften Schritten
und hungrigem Willen der Beute folgt.
Er wußte wohl, wo er sich befinde: daß der
Erymanthos der gefährlichste Unterschlupf sei, und
daß er außer dem verfolgten Eber noch tausend
und abertausend Tierungeheuern begegnen könne.
Doch vertraute er unerschütterlich seiner Kraft,
die von der Erinnerung an viele Siege genährt
war. Auf der weiten Erde gab es keinen zweiten
solchen Helden. Sein Wille war in vielen
Kämpfen gestählt, sein Herz erhärtet: er hätte
ohne sie vielleicht nicht einmal mehr leben
können. Die Eurystheus, die über ihn herrschten
und ihm Arbeit gaben, verachtete er aus ganzem
Herzen: wagten sie doch selbst nicht einmal mit
dem kleinsten wilden Tier den Kampf aufzu-
nehmen. Zwischen engen Mauern, hinter ge-
waltigen Zäunen mußten sie sich verbergen,
mußten bewaffnete Diener halten, um vor dem
Untergang bewahrt zu bleiben.
Denn hier draußen ist das Leben lauter Kampf,
und zu leben vermag nur, wer Kraft besitzt.
Mannigfache Feinde lauern allerorts, und alles ist
allem feind. Man braucht ein scharfes Auge, um
den Feind wahrzunehmen, flinke Beine, ihn ein-
zuholen, eine starke und geschickte Hand, ihn

zu fällen. Krallen, Zähne, riesige Kiefer, giftiger
Schlangen Biß können hinter jedem Strauch
lauern. Und das Leben selbst ist Kraft und Kunst.
Herakles fühlte mit stolzer Überlegenheit seine
Kraft, die in gleichem Maße noch keinem Sterb-
lichen gegeben worden war. Er hielt sich auch
selbst nicht für einen Sterblichen: fest stand, daß
er nicht der Sohn des Amphitryo war. Und auch
Amphitryo selbst behandelte ihn stets mit Ach-
tung: er beherrschte ihn keineswegs mit jener
Macht, wie dies Väter sonst zu tun pflegen.
Denn Herakles hatte bereits in seiner Kindheit das
Wunder seiner Kraft offenbart, und Amphitryo
neigte zu dem Glauben, ein Gott habe sein Weib
heimgesucht. Dies glaubte Herakles auch selbst.
Er hielt sich für die Frucht einer erschlichenen,
göttlichen Vereinigung, einer mit unsäglichen
Wonnen begnadeten Nacht.
Herakles lachte auf. Er dachte daran, welches
Geburtstagsgeschenk er wohl von den Göttern
bekommen haben mochte — jawohl, diese große
Kraft; — doch wer weiß, was noch! Unbesieg-
barkeit, Unsterblichkeit — geheimes Geschenk,
um das er selbst noch nicht wußte! Voll Schaden-
freude dachte er an diesen ihm gesicherten Vor-
zug, den er im Körper fühlte — und an die
Tiere und an die Menschen, die mit ihm in
ihrer Unwissenheit kämpfen: — die er noch zur
Strecke bringen wird! Dachte voll Schadenfreude
an den Eber. Schwelgte schier vor Schadenfreude
in der Schwere der Aufgabe, — lachte, grölte
— verlachte des Feindes Kraft! Mit ihm lachte
die Sonne, da sie durchs Laub drang. Mit ihm lachte
der Wald. Jauchzte vor unsichtbaren Vögeln,
surrte vor Käfern, schillerte in heiter-grünen
Farben . . . O, Herakles kannte gar zu gut diese
Helle, wußte genau, was sie in sich berge. Sein
scharfes Auge erblickte die verborgenen Vögel,
sah unter dem Gestrüpp die Urheber der
huschenden Geräusche, obschon ihre grünliche,
gefleckte Farbe völlig in den Farben des Laubes
 
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