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Geymüller, Heinrich von; Geymüller, Heinrich von [Contr.]
Die Baukunst der Renaissance in Frankreich (Heft 2): Struktive und ästhetische Stilrichtungen, Kirchliche Baukunst — Stuttgart: Bergsträsser, 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.67518#0201
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5i9

Es mag hierin zuerst ein scheinbarer Widerspruch liegen, indem der einheit-
liche, ununterbrochene »Trieb« des Emporwachsens durch die aufeinander folgende
Abwechselung von verticalen und horizontalen Theilen gehemmt wird.
Wenn man jedoch bedenkt, dass das gothische Princip der Formengebung die
Folge einer subjectiven, idealen, künstlerischen Fiction ist, so wird man vielleicht
auch zugeben dürfen, dass man berechtigt ist, einem solchen Auf baue Formen zu
geben, die etwas mehr die Abwechselung von tragenden und getragenen Functionen
aussprechen. Es ist dies eine Auffassung, die der structiven Wirklichkeit im Grunde
mehr entspricht als erstere und die als eine realistischere bezeichnet werden kann.
Vom Standpunkte der künstlerischen Fiction, die jeder Kunst zu Grunde liegt, ist es gestattet, in
einem solchen Aufbau der Travee eben so wohl einen harmonischen Rhythmus in der Abwechselung von
tragenden und getragenen Gliedern zu erstreben, als ein aus einer einzigen Wurzel emporgeschossenes Ge-
bilde, wie es die Gothik verwirklicht hatte.
Tn der Kirche zu Goussainville (Fig. 176 109 2) beginnt, wie in vielen früh-
gothischen Kirchen mit Rundsäulen, ein Theil der Gliederung erst oberhalb des
Kämpfers der Arcaden; unterhalb desselben sind vier Halbsäulen um einen quaclra-
tischen Pfeiler gestellt. Die Kanten des letzteren werden emporgeführt und nehmen
die Schildbogen der Gewölbe auf. An anderen Pfeilern dieser Kirche sind es ein-
fach Rundsäulen, über deren Gebälk die Arcaden entspringen und zwischen welchen
jonische Pilaster emporsteigen. Ueber deren Gebälk entwickeln sich die Rippen mit
geringerem Vorsprung.
In der Kirche zu Epiais (Fig. 177 1093) ist bei gleicher unterer Pfeilerform die
vordere Halbsäule mit der Pfeilerkante als grosse Ordnung bis zur Aufnahme der
Mittelschiff-Gewölbe emporgeführt.
Aehnlich wie in Epiais ist auch die Pfeilerbildung der Kirche zu Mesnil-Aubry; aber die Verhält-
nisse der beiden dorischen Halbsäulenordnungen sind schlanker und die Formen ssüsfiger und classischer,
die grossen Halbsäulen von keinen Pilaslerkanten begleitet. In den Seitenschiffen sind letztere vorhanden.
An den Pfeilern des polygonen Chors geht je eine Halbsäule mit ihrem Gebälk bis zu den Gewölben
empor. Die Arcaden haben noch Spitzbogen. Von den Seitenschiffen aus wirkt die Gruppe der drei
Halbsäulen sehr gut.
In der Kirche zu Massiers (ca. 1545?) werden die Gewölbe von einer fast identischen grossen Ord-
nung schlanker dorischer Halbsäulen mit Gebälkauffätzen getragen. Die Bogen der Arcaden steigen von
Halbsäulen der gleichen Ordnung ebenfalls mit Gebälk auf. Ihre Behandlung erinnert an jene in der Kirche
zu Goussainville. Der Architekt sucht einige Glieder durch sculpirte Ornamente zu beleben. Der Säulen-
hals hat einen Blattkranz.
Fig. 178 1094) stellt den Vierungspfeiler und ersten Chorpfeiler der Kirche zu
Ennery dar. Eine durchgehende grosse Pilasterordnung ist für die Gurtbögen ge-
schaffen, während zu dem für die Diagonalrippen, die um einen Grad weniger be-
lastet und als zur Ausfüllung gehörig betrachtet werden, zwei leichtere Säulen-
Ordnungen gewählt wurden. Diesen Unterschied findet man an den Pfeilern von
St.-Euftache, Fig. 180, und an den Pfeilern der Capellen in St.-Maclou zu Pontoise
wieder.
Wenn auch der Pfeiler, den Fig. 179 109i>) darstellt, nicht im Innern einer Kirche vorkommt, sondern
an der Ecke der Vorhalle der Kirche La Trinite zu Falaise, so haben wir ihn dennoch hier mit den
anderen zusammen gestellt, da er die Vorstellung von den Ideen, die bei der Pfeilergliederung herrschten,
vervollständigt.
Im Mittelschiff der Kirche von Villiers-le-Bel steigen die Gewölberippen aus dem verkröpften Ge-
bälk einer grossen korinthischen Ordnung, deren Schäfte als Segmente statt als Halbsäulen aus der Wand

1092), 1093), 1094) Nach Photographieen von F. M. S. im Verlag von Giraudon in Paris.
1095) Nach einer Photographie ohne Autornamen.
 
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