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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — N.F. 1.1936

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Wilde, Johannes: Der ursprüngliche Plan Michelangelos zum Jüngsten Gericht
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https://doi.org/10.11588/diglit.6336#0017

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17. November 1536, überliefert:1 ... cumque Clemens prefatus, decori et ornamento maioris
Capelle nostri palat'ii apostolici Sixtine nuncupate intendens, ad caput et altare maius dicte
Capelle seu supra illud certas picturas fieri proponens ipsum Michaelem Angelum ad picturam
huiusmodi iuxta designum cartonum per ipsum factorum evocasset . . .

Die älteste bildliche Quelle für die Beschäftigung Michelangelos mit dem Freskenprojekt
ist die Zeichnung F. 20 in der Casa Buonarroti (Abb. 1). Bedenkt man, daß darin die Maßver-
hältnisse der zur Aufnahme des Gemäldes bestimmten Wand gar nicht berücksichtigt werden,
wird man zu der Annahme neigen, daß die Zeichnung noch in Florenz, also bald nach dem
22. September 1533, der Begegnung in S. Miniato al Tedesco, entstanden sei. Jedenfalls spricht
jene Unangemessenheit dafür, daß uns hier ein erster Entwurf vorliegt, was übrigens von
niemand in Zweifel gezogen wurde. Geleugnet hat man hingegen gelegentlich die ebenso sichere
Tatsache, daß vom Künstler auf diesem Blatt ein einheitlicher und fertiger, die Komposition
des ganzen Werkes umfassender Gedanke fixiert worden ist. Und zwar entspricht dieser
Aufbau einem ersten, von dem endgültigen wesentlich abweichenden Plan. Zur klaren Erkennt-
nis dieses Charakters der Zeichnung ist ein Schlüssel notwendig.

Wie sah die Altarwand der Sixtinischen Kapelle zur Zeit Clemens' VII. aus? Sie war ähnlich
gegliedert und ähnlich dekoriert wie die Eingangswand noch heute — doch mit einigen Unter-
schieden. Oben in den Lünetten über den (wirklichen oder gemalten) Fensteröffnungen die
Fresken Michelangelos mit den Ältesten der Vorfahren Christi: Abraham — Isaak— Jakob —
Judas links, Phares — Esron — Aram rechts. Zwischen den beiden Lünetten reichte das Ge-
wölbe nicht wie überall in der Kapelle, also auch an der Eingangswand, bis zum Kämpfer-
gesims herunter, sondern es wurde schon in der Scheitelhöhe der Fenster von einer Konsole
aufgefangen. So ist es auch heute noch. Daß es sich dabei nicht etwa um eine bauliche Än-
derung im Zuge der Maurerarbeiten für das Jüngste Gericht handelt — was verständlich
wäre —, beweist die Form der Konsole selbst, die unzweifelhaft quattrocentesk ist. Auch im
ursprünglichen Zusammenhang hatte diese Abweichung vom tektonischen System ihren guten
Sinn: sie sollte jenen ziemlich stark vorspringenden Wandpilaster, der den Gewölbeschub
auf das Hauptgesims weiterleitet, an dieser Stelle überflüssig machen, was wiederum einer
Forderung der geplanten Dekoration entsprach. Die Bildnisse der Päpste sind nämlich so an-
geordnet, daß die Altarwand nur die zwei ersten, die des hl. Petrus und des hl. Linus, enthalten
konnte; diesen waren zweifellos die an die Längswände anstoßenden Felder ganz rechts und
ganz links zugedacht. In die Mitte aber gehörte nach dem ikonographischen Programm der
Reihe als Anfang das Bild Christi (siehe Siena!) — ob allein oder als Zentrum einer Kompo-
sition, bleibt fraglich;2 auf keinen Fall durfte daher dieses mittlere große Feld von einem
Wandpilaster überschnitten werden. Die leere Stelle über der Figur Christi zwischen Gesims
und Konsole füllte das Wappen Julius' IL aus. Unterhalb des Hauptgesimses befanden sich
die großen Fresken Peruginos: die Auffindung Mosis und die Geburt Christi. Noch weiter
unten, in der Mitte der Wand, als Altarbild ein Fresko Peruginos mit Mariä Himmelfahrt.

Diese Wandgliederung und dieser malerische Schmuck sind dem Fresko Michelangelos
zum Opfer gefallen, es füllt die ganze Stirnwand von der Schnittlinie des Gewölbes bis fast
zur Altarmensa hinunter. Ist aber die Idee des Werkes von Anfang an so expansiv gewesen?

[Papa Paolo III] volse vedere il cartone, fatto sotto demente, per la facciata della cappella di Sisto...
Vgl. K. Frey, Slg. ausgewählter Biographien Vasaris, II, S. 152 u. 153.
1 E. Steinmann, Die Sixtinische Kapelle, II, S. 749.
Nach F. Wickhoff, Kunstgeschichtl. Anzeigen, 1907, S. 79, befände sich eine Nachzeichnung dieser Christus-
figur in der Albertina. Es kann damit nur das Blatt gemeint sein, das, jetzt als Perugino katalogisiert (Beschrei-
bender Katalog, III, Nr. 39, Taf. 12), die Christusgestalt aus der Transfiguration des Cambio darstellt.

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