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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — N.F. 1.1936

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Zahn, Leopold: Callot und Velasquez
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https://doi.org/10.11588/diglit.6336#0150

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LEOPOLD ZAHN / CALLOT UND VELASQUEZ

Als an Velasquez — um 1635 — die Aufgabe herantrat, die Übergabe von Breda zu malen,
hat er sich über das Tatsächliche vermutlich bei jenem Künstler informiert, der seinerzeit,
knapp nach der Übergabe der holländischen Grenzfestung (5. Juni 1625), aufgefordert worden
war, die glorreiche Belagerung in einer topographischen Radierung festzuhalten. Bei dieser
Gelegenheit mag sich Velasquez auch die übrigen Radierungen Jacques Callots näher an-
gesehen haben, und dies nicht ohne unmittelbaren Nutzen für seine Kunst.

Vielleicht kann man bereits das Motiv der Lanzen, dem das Gemälde die Bezeichnung „Las
Lanzas" verdankt, auf Rechnung Callots setzen, der es verschiedene Male, so z. B. auf dem
Titelblatt der „Miseres de la guerre" (Plan 803) verwendet hat. Weitergehend ist die Be-
einflussung in zwei anderen Fällen.

Der eine betrifft das Reiterbildnis des Infanten Baltasar Carlos (Abb. 1), wie „Las Lanzas"
aus dem Jahre 1635. Auffallend die feldherrlich großartige Haltung des Kindes auf dem kugel-
bäuchigen, aus dem Bild herausgaloppierenden Pony; sogar einen Kommandostab hält der
Kleine im Fäustchen. Das Motiv des kurbettierenden, auf den Beschauer zusprengenden
Reittiers hat Callot bei der Darstellung eines wirklichen Feldherrn, des Grafen Pfalzburg,
„foudre de Mars" (Plan 436), angewandt (Abb. 2). Flatternde Mähne und Schärpe, Marschall-
stab, die ganze reiterstandbildhafte mise en scene im Sinne von barockem Heroismus, bei
dem „Blitz des Mars" durchaus am Platze, wirkt bei dem sechsjährigen Infanten wie kind-
liches Spiel. Das Schlachtgetümmel im Hintergrund der Radierung hat Velasquez freilich
weggelassen, aber in dem allgemeinen Duktus der Bodengestaltung und in der Licht- und
Schattenverteilung schließt er sich ebenfalls an die Raumdarstellung Callots an.

Der zweite Fall von Beeinflussung durch Callot liegt vor in dem um 1640 entstandenen
Gemälde Velasquez '„Philipp IV. auf der Sauhatz" (in Hinblick auf die kostbare Umzäunungs-
leinwand des Jagdplatzes auch „tela real" genannt) (Abb. 3). Ludwig Justi hat das heute in
der Londoner National Gallery befindliche Werk auf Erhaltungszustand und malerische
Qualität eingehend untersucht und auch „die künstlerische Weisheit" des Bildaufbaus rühmend
hervorgehoben, ohne jedoch den Lehrmeister zu nennen, dem Velasquez in diesem Falle be-
sonders verpflichtet war: nämlich den Radierer Jacques Callot. Schon der Gegenstand des
Bildes — ein aktuelles Ereignis höfisch-festlichen Charakters mit assistierender Volksmenge —
läßt an Callot denken, der auf mehreren Blättern ähnliche Vorgänge dargestellt hat, z. B. auf
den Radierungen „Joute ä cheval" (Plan 128), „L'fiventail" (Plan 216) (Abb. 4) usf., wobei
er ein ganz rationalistisches Kompositionsschema verwendet, dessen Absichtlichkeit er aber
den Anschein des Zufälligen und Momentanen zu geben versteht. (Der Herkunft dieses
Schemas bin ich in meinem Buche „Die Handzeichnungen J. Callots", München 1923, bereits
nachgegangen.) Vordergrund, Mittelgrund, Hintergrund sind die klar auseinandergehaltenen
Einheiten einer Raumbühne, die zur Tiefengewinnung in perspektivistischer Draufsicht
wiedergegeben ist, während die Figuren von vorne aus ungefähr gleich hohem Niveau
gesehen sind. Das Hauptereignis ist in den stark in die Tiefe entwickelten Mittelgrund
verlegt; den Vordergrundstreifen belebt eine geschickt aufgelockerte Zuschauermenge, die
sich aus präzis charakterisierten Einzeltypen und -gruppen zusammensetzt. Nun vergleiche
man das Bild Velasquez' z. B. mit Callots Radierung „Joute ä cheval". Die Übereinstim-
mungen sind evident. Alles, was zur Charakterisierung der Kompositionsweise Callots gesagt
wurde, gilt tale quäle für das Sauhatzbild des Velasquez,1 das sich freilich innerhalb des
1 Repert. f. Kunstwissenschaft, Bd. 50, S. 255—259, Berlin-Leipzig 1929.

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