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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — N.F. 1.1936

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Benesch, Otto: Meisterzeichnungen aus dem oberitalienischen Kunstkreis, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.6336#0069

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OTTO BENESCH / MEISTERZEICHNUNGEN AUS DEM OBER-
ITALIENISCHEN KUNSTKREIS. II1

7. Jacopo Bassano, Der Schmerzensmann. Schwarze Kreide auf blauem Naturpapier,
weiß gehöht. 270 X 202 mm. Bremen, Kupferstichkabinett der Kunsthalle (Abb. 10).

Bei Jacopo Bassano zeigt die gewaltige Steigerung der malerischen Kunst in den letzten
Lebensjahren den großen, schöpferisch begnadeten Meister an. Wenn seine Spätwerke malerisch
ganz frei und gelöst sind, so ist dies mehr als eine bloße Imitation von Tizians Spätstil: eine
wirkliche Näherung und innere Berührung. Einzelheiten in der „Taufe der hl. Lucilla" zu
Bassano (1584) greifen Vermeer voraus. Die unvollendet hinterlassene Taufe Christi, die 1931
auf der Venezianischen Ausstellung bei Boehler in München zu sehen war, war wie das Lodern
und Leuchten von Fackeln aus nächtlichem Dunkel. Die Spätwerke des wenige Jahre vorher
verstorbenen Tizian waren für den alten Meister richtunggebend. Tizians Spätstil mußte auch
in den Zeichnungen Jacopos seinen Niederschlag finden. Ein anschauliches Beispiel gewährt
das vorliegende Blatt, auf das ich unter den anonymen Italienern der Bremer Sammlung stieß.
Der Heiland ist ein Körper von wuchtigem, herkulischem Typus, sichtlich abhängig von
jenem späten, in den Fassungen des Prado und Louvre überlieferten Ecce homo Tizians.
Dieser dürfte ja auch vorbildlich für die mächtigen Akte der unvollendeten Taufe gewesen
sein. Meisterhaft nun, wie diese körperliche Wucht auch in der Zeichnung mit rein malerischen
Mitteln, gefördert durch die Lockerheit des Materials, erzielt wird. Bei aller Schwere der Physis
setzt sich der Körperaufbau aus einem flockigen, luftgetränkten Gewebe satter Kreidestriche
zusammen. Keine durchlaufenden Konturen, sondern in flachen Bogen immer wieder absetzende
Schattendrücker ziehen den Umriß. So wird die Gestalt allseitig von Luft umspült, in die flim-
mernde, von Lichtstrahlen durchkreuzte Atmosphäre des Baums versenkt. Der satte Kreide-
strich gewinnt wirkliche Farbenbedeutung dort, wo sich die Schatten am tiefsten ballen: um
das lockenverhängte Antlitz und die gefesselten Hände. Da braut es und wogt es im Dunkel
wie vom perlmuttrigen Rot, Braun und Gold der Bilder, da ist etwas von der letzten
farbigen Lösung aller festen Form, wie sie Tizian durchführte, graphisch zumindest angedeutet.
Letzte und souveräne Freiheit erlangte Jacopo ja doch nur im Pinselstrich, im strähnigen und
fetzigen Aufsetzen der farbigen Materie, in dem sich die Eigenart der Persönlichkeit gleichsam
handschriftlich äußert. In der Gesamterscheinung wirkt doch noch, im Gegensatz zum alten
Tizian, deutlich ein Formenkanon, und zwar ein manieristischer, wenn auch selbständig ent-
wickelter Formenkanon. Der alte Tizian ist von jedem Kanon frei. Das ist auch das, was letzten
Endes den Unterschied dieser Kreidezeichnung gegen die Tizians ausmacht.

8. Tizianschüler, Die Beweinung Christi. Feder in Bister. 243 X 209 mm. Reckowitz,
Sammlung Arnold Skutetzky (Abb. 11).

Kurt Rathe hat in einem vor längererZeit veröffentlichten Aufsatze2 auf eine Pietäkomposition
hingewiesen, die in Manierismus und Barock große Verbreitung fand. Rathe wies mit Recht
auf die doppelte Wurzel dieser Komposition hin: Florenz mit Michelangelos 1550—1555 entstan-
dener Domgrablegung — Venedig. Bei der Suche nach Künstlern, die die Synthese aus beiden
Stilwelten zogen, stieß er auf Greco, der in der Beweinung der Sammlung Huntington (Cossio
323, Abb. 12) bzw. in der Werkstattreplik der Sammlung Johnson (Mayer 101 a) sich gleichfalls

1 Schluß des Artikels in Heft 1, S. 11 ff.

2 Eine weitverbreitete Komposition der „Pietä" und ihr unbekanntes Vorbild. Mitt. d. Gesellsch. f. verv.
Kunst 37 (1914), S. 5.

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